Sturmwelten 01
Sie hatten seit dem Morgen kein Wort mehr gewechselt, und nun würden sie einander erst wieder treffen, wenn sich die Schiffe wieder begegneten.
Am Heck des langen Bootes stand Pertiz, und Jaquento sah den Stolz in dessen aufrechter Haltung. Sobald er einen Fuß an Deck der Wyrdem setzen würde, wäre er endgültig Kapitän. Deguay hatte knapp hundert Seeleute auf das Sklavenschiff geschickt, genug Piraten, um es mit den meisten Handelsschiffen aufzunehmen. Zudem hatten sie ein Dutzend der größeren Kanonen nach und nach mit Booten von der Todsünde zu der Wyrdem gebracht, eine mühselige und selbst im ruhigen Wasser der Bucht gefährliche Arbeit.
Nun war das ehemalige Sklavenschiff anständig bewaffnet, und der Zimmermann würde in nächster Zeit die unnötigen Schotten im Laderaum entfernen, um ein durchgehendes Kanonendeck zu schaffen, und dazu Geschützpforten anbringen. Die ungewöhnliche Brustwehr würde noch einige Zeit bleiben, bis die Wyrdem generalüberholt werden konnte. Doch schon jetzt machten die schlanke Form und die schnellen Linien das Schiff zu einem exzellenten Segler, und der geringe Tiefgang würde sich zwischen den unzähligen Inseln gewiss noch als nützlich erweisen.
»Ruder hoch!«, befahl Pertiz und lenkte das Boot mit dem letzten Schwung längsseits zum Schiff. Wie eine Bande Affen kletterten die Seeleute das Netz empor an Deck, und auch Jaquento folgte ihnen.
»Macht das Schiff klar«, rief der Kapitän. »Und meldet mir, wenn es so weit ist.«
Gerade als Jaquento sich abwenden wollte, hielt ihn Pertiz an der Schulter fest. »Du nicht. Komm mit!«
Überrascht folgte der junge Hiscadi seinem neuen Kapitän unter Deck, wo dieser seine Kajüte aufsuchte. In der – für ein Schiff geräumigen – Kajüte sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Bei ihrer Suche nach Kostbarkeiten hatten die Piraten die Möbel zerschlagen, die Koje aufgeschnitten und sogar zwei der Fenster eingeschlagen. Lächelnd hob Pertiz die Arme: »Willkommen in meinem Reich!«
Ebenfalls grinsend, tippte sich Jaquento an die Stirn.
»Ich würde dir einen Stuhl und etwas Wein anbieten, aber ich fürchte, ich habe weder das eine noch das andere.«
»Ich bin sicher, dass der Zimmermann Euch aus den Schotten einen Tisch und einen Stuhl zimmern kann.«
»Der Zimmermann ist eine Frau – Neria, und sie schätzt es, wenn man sie Schiffszimmerer nennt. Außerdem hat sie mehrere große Hämmer und Zangen, was ihren Wünschen erheblich Gewicht verleiht.«
»Aber Ihr habt mich sicher nicht hierhergebeten, um Euch meine Vorschläge für die Einrichtung Eurer Kajüte anzuhören, oder?«
»Nein«, räumte Pertiz ein. »Ich wollte einige Dinge mit dir bereden.«
Neugierig schwieg Jaquento. Unbewusst streichelte seine Hand Sinosh, der es sich wie stets auf seiner Schulter bequem gemacht hatte.
»Dieses Wesen …«, begann Pertiz, und der junge Hiscadi unterbrach ihn: »Es heißt Sinosh.«
»Sinosh, nun gut. Die Mannschaft denkt, dass es ein Glücksbringer ist, seit das Gerücht geht, die Echse habe dich im Kampf gerettet. Vielleicht sollten wir es erst einmal behalten.«
Jaquento nickte zustimmend. Insgeheim freute er sich darüber, denn er hatte sich in letzter Zeit an die Echse gewöhnt und konnte sich nur noch schwerlich vorstellen, sie wie ein Stück Rinderbraten zu verkaufen.
»Du wirst keiner der Wachen zugeteilt werden«, fuhr Pertiz fort.
»Warum nicht? Ich kann genauso gut arbeiten wie jeder andere auch.«
»Das ist mir bewusst. Aber du sollst mir zur Hand gehen. Mir persönlich untergeben sein.«
Einen Augenblick lang sah Jaquento den neuen Kapitän aus zusammengekniffenen Augen an, doch dieser scherzte nicht. »Ich bin doch kein Diener!«, brauste er dann auf, und Sinosh zischte laut.
Pertiz, der von der heftigen Reaktion überrascht zu sein schien, hob abwehrend die Hände. »Halt Sinosh zurück; ich habe gesehen, was er im Gefecht angerichtet hat.«
Jaquento berührte sanft den Rücken der Echse, deren Haut nun von einem hellen Rot war. Die geschuppte Oberfläche des Tieres war trocken und kühl und fühlte sich ein wenig wie Pergament an.
»Lass mich ausreden, bitte.«
»Ja«, erwiderte Jaquento knapp, doch er konnte seine Verärgerung nicht aus seinen Zügen verbannen.
»Ich will nicht, dass du in die tägliche Routine eingebunden bist. Du sollst mir zur Hand gehen, und das meine ich wörtlich. Du sollst lernen, zu navigieren, zu segeln und das Schiff zu kommandieren. Ich glaube, dass die See etwas
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