Sturmwelten 01
Laterne lag auf dem Boden und rollte mit den Bewegungen des Schiffes langsam hin und her. Ihr Licht ließ die Schatten im Zwischendeck wandern und beleuchtete auch den Leib, der dort in einer sich schnell ausbreitenden Blutlache lag. Es war Harfell, dessen dünne Beine würdelos aus einem schmutzigen Nachthemd ragten. Seine grauen Haare waren wirr, seine Züge bleich und eingefallen, und aus einer Wunde in der Brust lief mehr und mehr Blut auf die Planken.
»Der Kapitän!«, rief Roxane, die eine Welle der Erleichterung durchspülte, vor der sie sich selbst ekelte. Er ist in seinem Wahn gestürzt! »Leutnant, holen Sie die Ärztin. Schnell!«
Als Aella die Treppe hinauflaufen wollte, kam ihr Cearl entgegen, der vom Deck herabstieg, gefolgt von einigen Personen, die Roxane im Gegenlicht nicht erkennen konnte.
»Was geht hier vor?«, verlangte der Erste Offizier zu wissen. Auch er wirkte verstört, hatte sich jedoch besser unter Kontrolle als Aella, die gerade an Deck stieg und nach der Ärztin rief.
»Der Kapitän ist verletzt, Thay«, berichtete Roxane mit tonloser Stimme. Jetzt erkannte sie auch seine Begleiter; es waren Cudden und Hoare, der sich sofort an ihnen vorbeidrängelte und entsetzt die nächste Treppe hinabhastete. Unten traten zwei Soldaten ins Licht, die ungläubig auf den Kapitän starrten. Hoare brüllte sie an: »Wer war es? Wer?«
Doch die beiden schüttelten verständnislos die Köpfe: »Hier unten war niemand. Falscher Alarm.«
»Falscher Alarm? Der Kapitän …«, kreischte Hoare und presste dem Verwundeten die Hände auf die Brust. Blut sprudelte zwischen seinen Fingern empor, und Harfell rührte sich nicht.
Roxane schaute Cearl in die Augen, doch anstatt dort Hoffnung zu entdecken, fand sie nur Entsetzen. Langsam, unwillig wanderte ihr Blick zu seiner Rechten, die unkontrolliert zitterte. Er schüttelte leicht den Kopf und legte die Finger der Linken auf den Bund des Ärmels, doch Roxane hatte die zwei kleinen, dunklen Flecken gesehen – Blut. Ihr Verdacht wurde zur Gewissheit, als sie ihm wieder in das Antlitz sah und dort, hinter der Maske des Leutnants, bodenloses Grauen wahrnahm. Ihr fehlten die Worte, ja selbst ihr Herz schien versagen zu wollen und verkrampfte sich schmerzend in ihrer Brust. Übelkeit breitete sich schlagartig in ihr aus, ihre Hände wurden schweißfeucht und kalt.
Da sprang Doktor Tabard die Treppen hinab, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend. Sie kniete neben dem Kapitän nieder, schnitt mit geübten Bewegungen das blutige Hemd von seiner Brust und beugte sich über ihn.
»Groferton!«, brüllte sie, als sie das Ausmaß der Verletzung erkannt hatte. »Groferton, verflucht!«
»Leutnant Cudden, holen Sie den Maestre«, bat Roxane steif. Sie wusste nicht, woher die Worte kamen, wo doch die Welt einfach jeden Zusammenhalt verloren hatte, aber sie sprach, und ihr wurde gehorcht.
Um sie herum war alles nur Getümmel. Der Maestre kam und kniete neben der Ärztin nieder, das Gesicht seltsam ausdruckslos.
Cudden kehrte mit drei Marinesoldaten zurück und bewachte den Niedergang, als drohe noch Gefahr aus den Tiefen des Schiffes. Seemann Hoare stellte die Laterne des Kapitäns vorsichtig auf, wurde dann aber von Tabard verscheucht. Überrascht sah Roxane die Tränenspuren auf seinen Wangen, die so gar nicht zu seinem sonstigen Gebaren passen wollten.
»Mörder«, flüsterte er mit gebrochener Stimme und wiederholte dann deutlicher: »Mörder.«
Cearl schluckte, und seine Lippen wurden schmal und bleich, aber Hoare schleppte sich ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbei und stieg die Treppe empor an Deck.
»Das Kommando geht an Sie, Leutnant«, stellte Aella fest, die anscheinend nicht die Gemütsverfassung des Angesprochenen bemerkt hatte.
»Ja, ich …«, erwiderte der Erste Offizier, als Sellisher die Treppe hinabgepoltert kam.
»Was geht hier vor? Kapitän Harfell ist verletzt? Was …«
Er verstummte, als er den Kapitän wahrnahm.
»Wir wissen noch nichts Genaues, Caserdote«, erklärte Roxane. »Er wurde so vorgefunden.«
»Die Einheit schütze uns!«
Die junge Offizierin war geneigt, dem Priester zuzustimmen.
»Wie steht es um ihn, Groferton?«, verlangte Sellisher zu wissen, doch der Maestre schnaubte nur, ohne zu antworten. Stattdessen rief die Schiffsärztin: »Lassen Sie uns unsere Arbeit machen, verflucht noch einmal! Er wurde angeschossen. Es sieht nicht gut aus!«
»Angeschossen«, hauchte der Caserdote. »Aber … wer? Warum?«
»Der
Weitere Kostenlose Bücher