Sturmwelten 01
die Geister der Ahnen um Beistand. Es kostete ihn alle Kraft, sich aufzurichten, dieses eine Wort zu sprechen: »Verrecke!«
Eine kurze Stille folgte. Jeder Muskel in Majaguas Leib verkrampfte sich in Erwartung des nächsten Schlags.
»Wie du willst«, antwortete Tangye. »Du wirst mich noch darum anbetteln, dass du es mir sagen darfst .«
Dann traf ein harter Schlag Majaguas Hinterkopf, und der junge Paranao spürte nichts mehr.
ROXANE
Trotz ihrer äußerlichen Gelassenheit war Roxane nervös. Vor dem Mast rumorte es seit Tagen, und sie konnte die Unruhe der Besatzung mit jeder Wache, die verstrich, stärker spüren. Schon längst war sie darüber hinaus, sich zu fragen, ob das nur Einbildung war. Inzwischen wusste sie nur allzu deutlich, was vor sich ging – das Getuschel, die Blicke, die Grüppchenbildung. Auch beschwerten die Fähnriche sich häufig über mangelnden Respekt. Doch die Verfehlungen waren subtil, und bislang hatte Cearl noch niemanden bestraft. Vielleicht sollten wir die nächste Nachlässigkeit nutzen, um ein Exempel zu statuieren, dachte die junge Offizierin. Uns den Respekt mit der Neunschwänzigen zurückholen, wenn es nicht anders geht. Sie erschrak über ihre eigenen Gedanken. Ich wollte nie eine Offizierin sein, die durch Furcht führt. Was macht diese Reise nur aus uns? Oder ist es dieses verfluchte schwarze Schiff, das wir jagen?
Das schwarze Schiff war ein Phantom, gleichzusetzen mit der Hoffnung auf Vergebung. Cearl sprach von nichts anderem mehr, und in seiner Stimme klang die Schuld mit, die ihn zerfraß. Er muss das schwarze Schiff finden, dachte Roxane. Er hat es zum Zeichen seiner Erlösung gemacht. Doch selbst wenn sie Erfolg hatten, mochte dies in den Augen ihrer Vorgesetzten nicht ausreichen, um sie die bisherigen Geschehnisse an Bord vergessen zu machen.
Der Kapitän war in seine Kajüte gebracht worden, wo er unter Aufsicht der Schiffsärztin und des Maestre war. Groferton hatte ihn in einen Schlaf versetzt, aber beide wagten nicht, weitere Maßnahmen zu ergreifen, da er sehr schwach war. Einige Male hatte Roxane ihn besucht, doch die ständigen Gebete des Caserdote, der kaum noch von seiner Seite wich, und die wächserne Haut des Kapitäns, die wie eine Totenmaske über seine eingefallenen Züge gespannt war, hatten ihre Besuche stets kurz gehalten.
Das einzig Erfreuliche war, dass Tola sich von ihrem Fieber erholt hatte und das Lazarett verlassen durfte. Noch war sie nicht diensttauglich, aber wenigstens hatte sie das Schlimmste überstanden und befand sich auf dem Wege der Besserung.
»Irgendwelche Auffälligkeiten, Leutnant?«, erkundigte sich Cearl, als er an Deck trat. Fahrig strich er sich eine Locke aus der Stirn. Sein Gesicht mochte von der Sonne der Sturmwelt braun gebrannt sein, doch darunter erkannte Roxane eine graue Blässe, und unter seinen Augen lagen tiefe Ringe.
»Nein, Thay. Alles ruhig.«
Mit einem Nicken trat er an sie heran.
»Gut. Hoffen wir, dass es dabei bleibt. Dann übernehme ich jetzt die Wache, Leutnant«, erklärte er und tippte sich an seinen Zweispitz.
Auch Roxane salutierte.
Erschöpft verließ sie das Deck, ging in ihre Kammer, und bald siegte die Müdigkeit über ihre Sorgen.
Ein lautes Klopfen weckte die junge Offizierin, und sie war sogleich hellwach.
»Ja?«, rief sie, während sie sich aus ihrer Decke schälte.
»Leutnant Fre… der Kapitän lässt Sie in seine Kajüte bitten, wenn es Ihnen recht ist, Thay«, ertönte die helle Stimme Fähnrich Imrins. »Es ist Besuch an Bord.«
»Sagen Sie dem Kapitän, dass ich unterwegs bin, Fähnrich«, erwiderte Roxane und sah sich verdutzt um. Es war dunkel, und durch den schmalen Schlitz unter ihrer Tür fiel nur das Licht einer Öllaterne. Sie musste beinahe ihre gesamte Freiwache verschlafen haben. Eilig zog sie ihre Uniform an und richtete sich hastig Hut und Haare. Die Bewegungen des Schiffes zeigten ihr, dass sie vor Anker lagen, und noch dazu an einer geschützten Stelle. Dann hat meine Navigation uns nicht im Stich gelassen, und wir liegen bereits im Hafen, dachte sie mit einem Anflug von Stolz. Früher einmal war das mein bestes Fach.
Der Weg zur Kajüte des Kapitäns lag beinahe vollständig im Dunkeln und wurde nur von wenigen Öllampen beleuchtet. Aber selbst dieses wenige Licht hätte Roxane mittlerweile nicht mehr gebraucht, sie kannte die Mantikor gut genug, um die Wege auf dem Schiff auch in der Dunkelheit zu finden. Sie fuhr sich mit den Händen über die
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