Sturmwelten 01
Mannschaftsmitglieder um sie herum verharrten reglos. Sie waren von den plötzlichen Ereignissen offensichtlich überfordert. Oder sie sind bereits eingeweiht.
»Dafür habe ich keine Zeit«, erklärte der junge Hiscadi trocken, als er die Pistole hob. Der Schuss knallte, und für einen Moment verlor Jaquento Quibon hinter dem Qualm aus den Augen. Dann sah er den großen Mann wie einen gefällten Baum zu Boden stürzen. Blut sprudelte aus einer Wunde in der Brust, und Quibons Hand verkrampfte sich um den Stoff des Hemdes, bevor er zurücksank und erschlaffte.
Um sich herum spürte Jaquento die Blicke der Piraten, verwirrt, fragend, zornig. Jeden Augenblick würden sie ihren Schock überwunden haben. Jetzt wäre ein guter Moment, um aufzutauchen, Mano. Komm schon!
Als hätte der junge Maestre seine Gedanken gehört – wer sagt mir, dass es nicht so ist? - , liefen plötzlich aus allen Luken Leute an Deck. Manoel selbst stürmte an der Spitze einer Handvoll ehemaliger Sklaven auf das Achterdeck. Gewalt lag in der Luft, auch wenn die Waffen noch schwiegen.
Kurz entschlossen sprang Jaquento auf die Brüstung und hielt sich an einem Tau fest. Den Degen rammte er mit der Spitze in das feste Holz. Gerade, als er seine Stimme erheben wollte, sauste ein goldener Blitz das Tau entlang und sprang geschickt auf seine Schulter. Eine feuchte Zunge leckte über seinen Hals. Du kleiner Bastard, dachte Jaquento. Wo hast du gesteckt?
»Hört mich an«, rief er laut. »Ihr alle kennt mich. Und ihr alle wisst von Pertiz’ Tod!«
Sämtliche Blicke waren auf ihn gerichtet. Mit einem Mal spürte er, dass nun alles von seinen Worten abhing. Sollte er sie falsch wählen, würde es zum Kampf der Mannschaft untereinander kommen. Einem blutigen Gemetzel.
»Wir haben Pertiz zum Kapitän dieses Schiffes gewählt. Weil er der beste Mann war. Doch Quibon konnte seine Niederlage nicht ertragen, deshalb hat er gegen Pertiz Intrigen gesponnen!«
Unverständnis lag in so manchem Blick. Kürzer, eindringlicher, herrschte sich Jaquento stumm an.
»Er hat Pertiz in den Tod getrieben! Er hat das Kommando ohne Wahl an sich gerissen! Und es war ihm egal, was ihr wollt. Dort auf der Insel kämpfen Sklaven für ihre Freiheit, und wir haben ihnen unsere Hilfe versprochen. Sklaven, die uns vertrauen! Sklaven, wie viele von uns es kürzlich noch gewesen sind! Doch unsere Ketten wurden zerschlagen, und wir nahmen unser Schicksal selbst in die Hände!«
Damit gewann er die Zustimmung der Mannschaft, das konnte er sehen. Die Blicke, die wie gebannt an ihm hingen, zeigten keine Feindschaft mehr. Seine eigene Stimme erschien Jaquento laut, volltönend und überzeugend, und als er zu Manoel guckte, erkannte er, dass der junge Maestre sich mit geschlossenen Augen auf ihn konzentrierte. So viel Mojo schafft er also doch .
»Auf der Insel sterben Sklaven für ihre Freiheit, jetzt, in diesem Moment«, fuhr der Hiscadi fort. »Ohne uns ist ihr Kampf hoffnungslos! Quibon wollte sie alle verrecken lassen.«
Seine letzten Worte waren leise, als peinige ihn diese Wahrheit. Dennoch blieben sie dank Manoels Unterstützung gut zu verstehen. Jaquento sah hinab auf das Deck, legte eine Pause ein. Dann hob er den Kopf und wies zur Insel.
»Wir können ihnen helfen! Wir können zeigen, dass wir mehr sind als Feiglinge! Wir sind frei!«
Er schrie nun, legte all seine Leidenschaft in seine Stimme. Er wollte nicht mehr manipulieren; er wollte ihnen den wahren Weg zeigen, den einzigen Weg, den zu gehen sich lohnte.
»Folgt mir, und befreit diese Seelen dort! Seht euch die fetten Schiffe der Compagnie an. Wir heizen ihnen ein, und wir nehmen uns, was wir wollen. Wir dulden keine Sklaventreiber! Wir sind die freien Männer und Frauen der See! Und die Reichtümer der Compagnie werden uns gehören!«
Vielleicht waren seine Worte richtig. Vielleicht trafen sie auch nur einfach auf offene Ohren. Keiner jedenfalls hob eine Waffe.
»Für alle, die nicht mitkommen wollen, werden wir Boote fertig machen. Lasst euch von der Todsünde aufnehmen, oder verschwindet auf den Inseln hier. Niemand wird Hand an euch legen oder euch aufhalten. Ihr habt mein Wort.«
Damit sprang er wieder von der Brüstung herab und ging zu Manoel, der die Augen nun wieder geöffnet hatte und spöttisch in die Hände klatschte.
»Sehr bewegend... Käpt’n.«
»Kapitän? Ich? Wohl kaum. Ich wollte nur …«
»Wer sonst?«, unterbrach ihn Bihrâd. Die Miene des Mauresken war wie stets kaum deutbar für
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