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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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bedeutet das für mich, Méser?«, fragte er, seine Worte mit Bedacht wählend.
    »Ich fürchte, du bist uns nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert: Jede Marine macht mit Piraten kurzen Prozess. Mitgefangen, mitgehangen, das ist die Losung. Aber das wusstest du doch schon längst, nicht wahr?«
    Dem jungen Hiscadi fiel auf, dass der Kapitän ihn nicht länger mit der Höflichkeit eines Adeligen anredete; vielmehr sprach er nun mit ihm wie mit jedem anderen Mitglied der Mannschaft. Er schaute Rahel an, die seinen Blick mit unbewegter Miene erwiderte. Über der Insel schrien die Möwen ein Klagelied. Jaquento wollte etwas sagen, ihnen seine Geringschätzung deutlich machen. Nun zeigt ihr also euer wahres Gesicht. Der Halsabschneider und die Hafendirne. Was für ein umwerfendes Paar habe ich mir zur Gesellschaft gesucht. Aber Deguays Worte drehten sich in seinem Kopf beständig im Kreis: »Das wusstest du doch.« Die Kanonen, die Mannschaft, all die Waffen. Wenn ich vorher blind war, dann wollte ich es sein.
    »Du hast noch die Wahl«, flüsterte Rahel. »Wir legen in Lessan an, dann kannst du friedlich von Bord gehen.«
    Doch der Kapitän schüttelte den Kopf: »Du hast dein Blut im Kreis vergossen. Du trägst die See in dir. Wie könntest du uns jetzt noch verlassen wollen?«
    »Ich bin kein Pirat!«, entgegnete Jaquento. In seiner Heimat spuckte man aus, wenn man vom Abschaum der Meere sprach.
    »Noch nicht. Aber du bist in die Sturmwelten gekommen, weil du etwas suchst. Ich weiß nicht, vor wem oder was du auf der Flucht bist, Méser , aber du sehnst dich nach Freiheit, deshalb bist du überhaupt hierhergekommen. Wir sind die einzig wirklich freien Männer und Frauen. Du hast davon gekostet, nun willst du nichts anderes mehr.«
    Jaquento blickte den Kapitän an, in dessen Stimme eine Eindringlichkeit mitschwang, die ihm einen Schauder über den Rücken jagte. Vielleicht hat er ja recht. Ein Flüchtling kann sich nicht aussuchen, in welcher Gesellschaft er reisen möchte. Und was macht es schon noch aus? Piraterie wäre wohl kaum die schlimmste Sünde, die ich begangen habe.
    Rahel guckte ihn von der Seite an. Ob in ihrem Blick tatsächlich eine Bitte lag oder ob er sich diesen Ausdruck nur einbildete, vermochte er nicht zu sagen.
    »Vier Faden!«
    »Freies Wasser«, stellte Deguay zufrieden fest, dann rief er laut: »Setzt das Kreuzsegel und das Vorbramsegel! Genug am Lot!«
    Mit der Rechten deutete er zum Bug, wo sich zwischen den beiden Inseln die offene See abzeichnete.
    »Das ist unsere Bestimmung, Jaquento. Der Horizont! Und verflucht noch mal, wir müssen auch leben.«
    Zweifelnd blickte Jaquento zu dem schmalen Band, wo das dunkle Blau des Meeres an das unruhige Grau der Wolken stieß.
    »Segel steuerbord voraus«, brüllte der Ausguck und riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. So viel zu der Hoffnung, dass wir keinem Schiff begegnen.
    »Setzt die Bramsegel!«, befahl Deguay und hob sein Fernrohr ans Auge. »Dann wollen wir mal sehen, wer uns da ins Netz gegangen ist.«

SINAO

    Eins, zwei, drei, zählte Sinao in Gedanken. Dann verschwand der Umriss des Soldaten hinter der Brüstung, und sie schlich leise die Treppe hinab. Im Kopf zählte sie weiter, und bei zwölf bog sie um die Ecke, lange bevor die Wache wieder einen Blick auf die Treppe haben würde. Warum tue ich das? , fragte sie sich zum wiederholten Male. Wenn man mich entdeckt, ist mir ein Hanfseil sicher. Sie wusste keine Antwort auf diese Frage. Natürlich war es ihnen verboten, ihre Räume ohne Grund zu verlassen, und eigentlich sollte sie jetzt mit den anderen in ihrer Kammer sein. Stattdessen lief sie im Schatten der Mauer über den Hof und schlüpfte durch das Tor hinaus. Das Herz schlug ihr wie wild in der Brust, aber sie zwang sich, langsam zu gehen und die Klippe hinabzusteigen, als wäre es ihr erlaubt. Die kleinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, als sie sich die Blicke der Soldaten auf den Türmen des Forts vorstellte, doch es ertönte kein Ruf, kein Alarm, und sie erreichte den Fuß der Klippen.
    Das mächtige Schiff lag noch in der Bucht. Sie konnte die Männer und Frauen darauf arbeiten sehen, und hin und wieder trug der Wind Fetzen von Befehlen und Gesang herüber. Wohin fährt dieses Schiff wohl? Tief in sich spürte Sinao einen Stich. Neid? Fernweh? Sie konnte es nicht sagen. Dieses Schiff würde die glücklichen Menschen, die darauf waren, forttragen, zu unbekannten Inseln, vielleicht in die Heimat der Blassnasen.

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