Sturmwelten 01
Sie sind frei. Niemand schlägt sie, niemand schreit sie an, niemand hält sie fest.
Anders als die Sklaven, die noch immer in einer langen Prozession Körbe zum Strand trugen. Nachdem sie die schweren Holzkisten mit dem Metall verladen hatten, waren nun Maniokwurzeln an der Reihe. Mit gesenktem Blick ging Sinao schnell an den Klippen entlang und schlug den Weg zum Lager ein. Die Aufseher waren zum Glück damit beschäftigt, die Träger anzutreiben, und niemand beachtete sie. Wie ein Geist passierte sie die lange Kolonne; die Sklaven schauten auf den Boden, die Aufseher ignorierten sie. Ich bin unscheinbar, unwichtig, unsichtbar! Wenn man sich einmal weit genug vom Fort entfernt hatte, dann fragte niemand mehr nach. Das ist nur Sin, die gute Sin. Die führt nur irgendeinen Auftrag aus. Sin ist brav, sie widerspricht nie, sie ist eine gute Sklavin!
Es überraschte sie, wie viele Körbe die Sklaven trugen. Die Ernte musste ertragreich gewesen sein. Gut genug, um Maniokwurzeln für das Fort und das Lager zu haben und noch dazu viele Körbe von hier fortzubringen. Neununddreißig Körbe waren es, die unten am Strand in die Säcke des Schiffs geleert werden würden.
Dann war Sinao an der Reihe der Sklaven vorbei und ging weiter. Vor dem Lager bog sie ab, vor neugierigen Augen durch einige Palmen verborgen, und lief auf das Feld, das vor Jahren mit Feuer gerodet worden, jetzt jedoch wieder von dichtem Gebüsch bewachsen war. Ihre Füße trommelten über den Boden, sie konnte nur das Geräusch ihres eigenen Atems hören. Grün und Braun raste an ihr vorbei, sie spürte die staubige Erde unter ihren Füßen.
Keine Wände, keine Knuten, keine Arbeit, keine Sklavin. Einen enthusiastischen, unaufhaltsamen Lauf lang war sie frei. Dann stach es in ihrer Seite, und sie kam keuchend und schwitzend zum Stehen. Warum tue ich das? Warum schleiche ich mich immer wieder fort? Warum fordere ich das Hanfseil heraus? Will ich die Ki’, die Geister der Erde, erfreuen? Ihnen von meinem Schweiß opfern? Oder von meinem Blut?
Gierig saugte sie die warme Luft ein. Das Rauschen des Meeres und das Geschrei der Vögel kehrten zurück, die Sonne brannte auf sie herab, und Schweiß lief ihr über den Rücken. Die Büsche um sie herum hatten einen scharfen, stechenden Geruch, und einige Äste hatten ihr die Beine zerkratzt. Warum?
Langsamer kehrte sie zurück. Obwohl sie sich selbst Vorwürfe machte, war sie ruhig. Die Klammer in ihrem Leib, die vorher ihr Herz so unbarmherzig umschlungen gehalten hatte, war verschwunden. Vielleicht war sie ihr davongelaufen. Vielleicht hatte die Erschöpfung sie vertrieben. Gleichzeitig legte sich ihre Angst. Niemand würde eine Sklavin befragen, die in die Küche zurückkehrte. Sklaven liefen davon, sie kamen nicht zurück. Es fiel ihr überraschend schwer, das Haupt zu senken und wieder Sklavin zu sein, als sie hinab zum Strand ging.
Die Träger hatten es sich an der Anlegestelle im kargen Schatten einiger Palmen bequem gemacht, während die Seeleute ihre Boote beluden. Die Sklaven durften nie in die Nähe der Boote, weshalb die Männer und Frauen vom Schiff nun selbst in der heißen Sonne arbeiteten mussten. Vielleicht denken sie, dass einer sich als Maniok verkleidet und sich im Korb
versteckt! Der Gedanke war so erheiternd, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte. Doch ihr Lächeln erstarb, als sie eine kleine Gruppe die Stufen in den Klippen hinabsteigen sah. Erneut schlug ihr Herz so laut, dass sie es schmerzhaft in der Kehle spürte. Sie haben mein Verschwinden bemerkt, und das sind die Jäger! Hektisch blickte sie sich um. Zum Feld waren es einige hundert Schritt, der Wald lag noch weiter entfernt. Wenn sie jetzt loslief, würde man sie bemerken. Und selbst wenn sie sich verstecken konnte, was sollte sie tun? Die Insel war klein, und man würde sie früher oder später finden. Und hängen oder totpeitschen. Wenn sie jetzt zurückging, würde man sie vielleicht nur bestrafen, schlimm bestrafen, aber nicht töten.
Sie setzte einen Fuß vor den anderen. Es kostete mehr Überwindung, diesen Schritt zu tun, als alles andere in ihrem bisherigen Leben. Ein zweiter Schritt, und sie wollte schreien. Tränen drangen ihr in die Augen, doch sie ging weiter, den Kopf gesenkt. Vier, fünf, sechs, sieben, acht … noch zweihundertachtzehn Schritte, und ich bin am Strand. Wie viele sind es bis zu den Balken?
Sie sah nicht auf. Sie hielt den Kopf gesenkt. Sie war eine gute Sklavin. Niemand bestrafte eine gute
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