Sturmwelten 01
Silber der Servierteller und dem Weiß des edlen Porzellans.
»Los geht’s!«, freute sich Hugham und folgte Kapitän Harfell in den Speisesaal. Zu Roxanes Entsetzen waren ihnen keine gemeinsamen Plätze zugewiesen worden, sondern sie saßen zwischen anderen Gästen, die ihrer Kleidung nach keine Angehörigen der Marine waren. Wohl dem Protokoll folgend, hatte man Herren und Damen abwechselnd gesetzt.
Die junge Offizierin riss sich zusammen und lächelte höflich, während man sie ihren Tischherrn zur Rechten und zur Linken vorstellte. In dieser Situation erwies sich Harfell als überraschend hilfreich, denn er übernahm die Vorstellung seiner Offiziere und schien geübt darin, die höflichen Floskeln zu verwenden, die Roxane nur schwer über die Lippen kamen. Tatsächlich gelang es dem Kapitän, die Tischnachbarn in ein Gespräch über die Handelsbeziehungen zu den Mauresken Städten zu verwickeln, zu dem Roxane dann und wann einen kleinen Einwurf beisteuerte, ohne sich jedoch aufzudrängen. Innerlich war sie über die Verwandlung des Kapitäns erstaunt, der vortrefflich parlierte und die Anwesenden immer wieder mit kleinen Anekdoten aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz als Offizier erheiterte. Fragend blickte sie zu Hugham hinüber, die nur die Augenbrauen hob. Kaum waren die letzten Toasts auf die Krone ausgebracht, wurde der erste Gang auch schon serviert.
Während des mehrstündigen Essens sprach Roxane nur wenig, genoss die erlesene Auswahl an Weinen und Wildbret, die köstliche Schildkrötensuppe, die vielen vortrefflichen Meeresfrüchte, für welche die Sturmwelt bekannt war, und zu guter Letzt eine ganze Reihe von Desserts, die durch aufwendige Magie gekühlt worden waren. Karamellcreme, verschiedene Puddings und ein géronaisches Schokoladendessert, dessen Namen sie nicht kannte, das aber wahrhaft die Krönung des Mahls war. Neben sich sah sie, wie Hugham unauffällig zwei Knöpfe ihrer Uniform lockerte, und auch sie fühlte sich so satt wie schon lange nicht mehr.
Als der Gouverneur, ein rotwangiger, jovialer Mann, der offensichtlich nur allzu gern dem guten Essen zusprach, sich erhob, folgten ihm seine Gäste in den Ballsaal, wo auch eine Reihe von Digestifs auf sie warteten. Unauffällig entkam Roxane ihren Tischnachbarn sowie Kapitän Harfell.
»Ein Glück, dass es vorbei ist«, flüsterte Hugham und nahm einen Schluck Mirabellenbrand. »Noch ein Bissen, und ich hätte mich nicht mehr erheben können.«
»Aye«, pflichtete Roxane ihr bei. Obwohl sie an Alkohol an Bord gewöhnt war, spürte sie die ersten Auswirkungen der erlesenen Spirituosen und warf einen sehnsüchtigen Blick zu den großen Glastüren, die hinaus in den Garten führten. Ein wenig frische Luft wäre wunderbar.
Die Kapelle spielte wieder auf, und der Gouverneur führte seine Gattin, die ihm in Hinblick auf den Leibesumfang in nichts nachstand, auf das Tanzparkett. Noch ein Grund mehr für Roxane, den Raum schnellstens zu verlassen, da sie ihren Füßen schon in den besten Zeiten beim Tanzen argwöhnisch gegenüberstand. Also murmelte sie eine Entschuldigung und bahnte sich zielstrebig einen Weg durch die Menge. In dem Ballsaal war es durch die Kerzen und die vielen Menschen sehr warm geworden, sodass selbst eine feuchtwarme Sturmweltnacht ein wenig Abkühlung bieten mochte.
Kurz bevor sie jedoch die Tür erreichte, erklang an ihrer Seite eine tiefe Stimme: »Darf ich Euch meinen Arm anbieten, Meséra, wenn Ihr die Nacht ein wenig zu genießen wünscht?«
Überrascht drehte sie sich um und erblickte einen hochgewachsenen, noch jungen Mann, dessen langes, schwarzes Haar zu einem Zopf nach hinten gebunden war. Er trug für den Anlass eher ungewöhnliche Kleidung: einen dunkelroten Uniformrock mit langen Schößen, der mit schwarzen Litzen verziert war. Auffallender noch als seine Kleidung, die Roxane nicht zuordnen konnte, war jedoch die kleine, goldgelbe Echse, die auf seiner Schulter saß und sie mit einer beunruhigenden Intensität aus ihren goldenen Augen anstarrte. Es dauerte einen Moment, bis die junge Offizierin den Mann wiedererkannte: »Sie!«
Mit einem Lächeln verneigte er sich tief und antwortete: »Ich.«
Verwirrt blickte Roxane sich um, da sie unvermittelt einen schlechten Scherz vermutete. Doch niemand nahm von ihnen Notiz. Ihr Gegenüber hatte sich wieder aufgerichtet und bot ihr tatsächlich seinen Arm an. In seinen dunklen Augen funkelte Spott. »Wenn Ihr gestattet? In diesen Kreisen gehen die meisten
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