Sturmwelten 01
auf einem Sklavenschiff reisen, da war sie sich sicher. Zudem gab es noch die anderen geheimnisvollen Schiffe, von denen niemand bislang an Land gekommen war. Sie konnte so lange rätseln, wie sie wollte, niemand würde ihr die Lösung verraten. Also machte sie sich wieder auf den Weg, um Tangye nicht durch zu spätes Erscheinen zu verärgern.
Vor der Tür des Aufsehers erwartete sie die nächste Überraschung: Zwei Soldaten standen mit ihren Musketen davor, die Mienen wachsam und bereit. Vorsichtig schritt Sinao zwischen ihnen hindurch. Einige Momente lang stand sie hilflos vor der Tür, konnte nicht anklopfen, ohne die Balance des Tabletts zu gefährden, dann erbarmte sich einer der Soldaten und öffnete die Tür.
»Ah, Sin, endlich«, begrüßte sie Tangye, der an seinem Tisch saß und sich nun erhob. Leise murmelte sie eine Entschuldigung, stellte das Tablett auf der Tischplatte ab und begann, die kostbaren Gläser zu verteilen, die Tangye in einem kleinen Kabinett aufbewahrte. Aus den Augenwinkeln versuchte sie, die beiden Männer zu beobachten, die an Tangyes Tisch saßen. Der eine war ein typischer Seemann, sonnengebräunt, mit dunklem Haar. Er trug nur eine halblange Hose und ein offenes Hemd, und er lächelte Sinao an, als er ihren Blick bemerkte. Schnell sah sie weg, um ihn nicht zu erzürnen. Zum Glück begann Tangye in diesem Moment wieder zu reden, sodass alle Aufmerksamkeit zu ihm wechselte: »Wein? Oder lieber Rum?«
»Wein, bitte«, erwiderte der zweite Mann. »Für meinen Begleiter auch.«
Dieser Mann sah wichtiger aus; so wie sich Sinao jemanden vorstellte, für den die Kanonen feuerten. Er war groß, auch seine Haut war dunkel, aber sein Kinn war rasiert, sein langes Haar zu einem Zopf zusammengebunden, und vor allem seine Kleidung, dunkelrot und schwarz, war es, die seinen Status anzeigte.
Dann sah sie das Wesen auf seiner Schulter und sprang entsetzt zurück. Eine gelbe Echse starrte sie an, den Hals gereckt, die goldenen Augen wie von flüssigem Feuer erfüllt. Die Kreatur folgte jeder ihrer Bewegungen mit den Augen, während Sinao die Hände abwehrend vor die Brust hob. Mit einem Mal schien die Zeit langsamer zu vergehen, floss zäh in Schlieren um sie herum, roch wie die Luft vor einem Gewitter. Ein Zerren in ihrem Leib, tief in ihren Gedärmen, ließ Sinao erzittern.
»Keine Angst«, erklärte der reich gekleidete Mann lachend und rückte den Kopf der Echse mit seiner Hand zur Seite. »Sinosh tut keiner Fliege etwas zuleide!«
Vielleicht waren es seine Worte oder seine Hand, jedenfalls holte die Zeit Sinao wieder ein. Der Mann zwinkerte ihr verschwörerisch zu und sagte: »Danke für den Wein.«
»Sin?«, fragte Tangye, doch es dauerte trotz des lauernden Ausdrucks in seiner Stimme einen Moment, bis die Sklavin ihren Blick von der Echse lösen konnte. »Sin, kommt das Essen?«
»Ja, Herr.«
»Gut. Du bleibst hier, falls wir noch etwas benötigen.«
Stumm nickend stellte sich Sinao in eine Ecke und senkte das Haupt. Für Tangye war sie nun nicht mehr als ein nützliches Möbelstück. Schon manches Mal war Sinao bei Verhandlungen dabei gewesen, wartete Tangye und seinen Gästen auf, holte mehr Wein, Bier oder Rum und tat alles, was ihr geheißen wurde.
»Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen lassen?«, wandte sich Tangye wieder an seine beiden Gesprächspartner.
»Nein, vielen Dank.«
»Sie haben natürlich recht: Wir können immer Waren gebrauchen. Und wir sind in der Lage, gut zu bezahlen. Die Compagnie heuert auch immer wieder fremde Schiffe an. Trotz unserer großen Flotte ist es uns anders kaum möglich, die weit verzweigten Niederlassungen adäquat zu versorgen.«
»Verstehe.«
Die Stimme des hochgewachsenen Fremden war weich, und es schwang die Andeutung eines Dialektes darin mit, die Sinao nicht deuten konnte. Tangye war an das geöffnete Fenster getreten und blickte hinaus auf Bucht und Insel. Sein breiter Rücken versperrte Sinao die Sicht auf das Lager. Nur über seinem Kopf war ein Stück blauer Himmel zu sehen, an dem einige Möwen ihre Kreise zogen.
Die Echse hatte sich auf der Schulter zusammengerollt, aber Sinao spürte noch immer die Augen auf sich gerichtet. Es fröstelte sie, obwohl es heiß und schwül war.
»Sie haben Wein geladen, sagen Sie?«
»Korrekt.«
»Ihr Schiff …«
»War einst ein Sklavenschiff«, erklärte der Mann mit der Echse im Plauderton. »Momentan haben wir Wein geladen. Nicht mehr allzu viel, aber die ungünstigen Winde haben uns
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