Sturmwelten 01
das Letzte, was ihr noch Kraft gab.
»Natürlich, Thay.«
»Eine schöne Nacht«, bemerkte Cearl mit einem Blick zum Himmel.
»Ich habe heute mit Tabard gesprochen«, flüsterte Roxane. Sofort blickte Cearl sich um.
»Und?«
»Nicht hier. Wir treffen uns bei sieben Glasen, nein, besser kurz danach. Sagen Sie Aella Bescheid.«
»Natürlich. Wo?«
»Beim Laderaum des Zimmermanns.«
Stumm nickte der Erste Offizier. Sein Gesicht war bleich, oder vielleicht war es nur das fahle Mondlicht, das ihn so aussehen ließ. Mit einem erneuten Salutieren wandte er sich ab und ließ Roxane mit ihren Ängsten und Hoffnungen allein.
Die Zeit bis zu dem Treffen wurde eine Tortur, und Roxane wurde von der irrationalen Befürchtung geplagt, dass man ihr die Meuterei, die bislang nur in ihrem Kopf umging, vom Gesicht ablesen könnte. Ständig hatte sie das Gefühl, dass sie gleich die belastenden Worte herausschreien müsse, als ob sie nicht Herrin über ihre eigene Zunge sei. Doch nichts dergleichen geschah, bis sie das Kommando an den Fähnrich übergab, vorgeblich, um auszutreten. Der Abstieg in die Tiefen des Schiffes kostete sie einige Überwindung.
Überall auf dem Geschützdeck waren die Kojen gespannt, und der Geruch von so vielen Menschen übermannte ihre Sinne beinahe. An manches gewöhnt man sich nie.
Die meisten Mannschaftsmitglieder schliefen, nur hier und da sah Roxane offene Augen. Niemand würde es wagen, sie zu befragen oder gar aufzuhalten, dennoch jagten die Blicke der jungen Offizierin einen Schauer über den Rücken. Auch Hoare war noch wach, und in seiner Miene spiegelte sich Triumph, als er sie dreist angrinste, doch Roxane ignorierte ihn einfach.
Der Laderaum des Schiffszimmermanns lag tiefer, im Zwischendeck über dem Hauptladeraum. Hier gab es mehrere abschließbare Laderäume, in denen die privaten Vorräte der Offiziere, des Kapitäns und der Schiffsärztin untergebracht waren. Auf See war das Schiff hier labyrinthartig beladen, mannshoch stapelten sich Kisten und Fässer, und es gab etliche Ecken, in denen man sich verbergen konnte. Manchmal versteckten sich hier Seeleute, um zu spielen und zu wetten. Doch heute Nacht sind es die Offiziere, die sich hier treffen, um die schlimmste aller Sünden auf See zu planen, ging es Roxane durch den Kopf.
Die beiden anderen hatten kein Licht entzündet, sondern verließen sich einzig und allein auf den schwachen Lichtschein, der aus dem Pulvermagazin drang, beziehungsweise aus dem Lichtraum davor, denn in das Magazin durften nicht einmal geschlossene Laternen hineingebracht werden, weshalb es einen abgetrennten Raum gab, in dem Licht brannte, das durch dicke Scheiben in das Magazin leuchtete.
Aella und Cearl starrten sie an, als ob sie ein Geist sei. Furcht und Anspannung zeigten sich auf ihren Gesichtern.
»Thay«, flüsterte Aella, als Roxane sich zu den beiden anderen Leutnants gesellte.
»Was hat Saefled gesagt?«, fragte Cearl, dann berichtigte er sich: »Ich meine die Ärztin.«
»Sie wird es nicht tun. Sie wagt es nicht.«
Der Erste Offizier stieß einen unterdrückten Fluch aus.
»Ich kann es ihr nicht übel nehmen«, erklärte Roxane, »auch wenn ich mir eine andere Antwort gewünscht hätte.«
»Nicht übel nehmen?«, fragte Aella mit einem weinerlichen Unterton, der Roxane unangenehm berührte. Doch für ihre Pläne mussten sie zusammenarbeiten, ganz egal, was sie persönlich dachte.
»Erinnern Sie sich noch an die Meuterei auf dem bewaffneten Transportschiff Mildtat ? Tabard hat mich daran gemahnt. Der Kapitän war krank, er hat zwei Matrosen zu Tode peitschen lassen. Er wurde gewaltlos festgesetzt, und bei der Verhandlung haben zwei Dutzend Seeleute für die Offiziere ausgesagt. Erinnern Sie sich?«, fragte Roxane düster.
»Ja.«
»Sie haben den Ersten Offizier als Rädelsführer aufgehängt und die anderen unehrenhaft entlassen. Das war keine Gerechtigkeit. Das war eine Botschaft an jeden, der etwas Ähnliches planen sollte!«
»Ich habe davon im Chronisten gelesen. Der Kommentator war erbost«, erwiderte Cearl leise.
»Und das ist auch alles, worauf wir hoffen können. Einen milden Artikel im Chronisten. Unsere Vorgesetzten werden weit weniger Verständnis zeigen als die Zeitung . Das Anliegen der Besatzung der Mildtat war berechtigt, aber die Admiralität hat dennoch ein Exempel statuiert. Keine Gnade für Meuterer, egal, welche Umstände zu der Meuterei geführt haben. Vielleicht würde man uns hinter vorgehaltener Hand sogar
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