Sturmwelten 01
recht geben, aber man würde uns trotzdem verurteilen.«
»Das können Sie nicht wissen«, zischte Aella.
»Aber Tabard scheint es zu glauben, und damit verlieren wir ihre Unterstützung. Das heißt nicht, dass ich es deshalb nicht wagen will, etwas zu unternehmen. Aber ich sage: Es ist gefährliches Terrain, auf dem wir uns bewegen; ein falscher Schritt, und wir werden untergehen. Es darf keine Meuterei sein, es muss rechtmäßig bleiben!«
»Ich denke, wir müssen es wagen. Sonst ist es für uns ohnehin aus. Harfell wird uns alle in den Untergang führen«, erklärte Cearl grimmig, und sie alle nickten. Es war keine Frage mehr, ob der Kapitän ihnen übel gesonnen war. Er war vielleicht krank oder wahnsinnig, doch auch das spielte keine Rolle mehr. Wichtig war nur, dass er drauf und dran war, das Schiff in größte Gefahr zu bringen.
»Wir sollten …«, hub Cearl an, doch weiter kam er nicht, denn durch das Zwischendeck hallte ein lauter Ruf.
»Sichert die Niedergänge!«
»Harfell«, hauchte Roxane, und die Verschwörer blickten sich entsetzt an.
SINAO
Die Rückkehr zu ihrer gewohnten Routine war wie das Betreten einer fremden Welt. Plötzlich fand sich Sinao nicht mehr in der Küche zurecht, waren die altbekannten Gänge und Flure des Forts verwirrend, und selbst die Sprache der anderen Sklaven war für sie nur noch schwer verständlich.
Einen Tag jenseits der Sklaverei hatte Anui ihnen geschenkt. Doch am Morgen, nachdem Tangye eingestehen musste, dass er einen Fehler gemacht hatte, waren die Aufseher wie gewöhnlich gekommen, hatten die Arbeitssklaven auf die Felder und in die Minen geführt und die Küchensklaven in die Festung gebracht. Niemand hatte die Ereignisse des Vortages erwähnt; es war, als wäre nichts geschehen. Wie im Traum hatte Sinao alles getan, was ihr befohlen wurde.
Ihr Körper führte alle notwendigen Bewegungen von allein aus, doch ihr Geist war noch unten in der Hütte, in jenen Augenblicken, da sie und Majagua außerhalb der Welt gewesen waren. Sie wollte nicht zurück, doch das Leben war grausam und ließ sich nicht in seinem Gang aufhalten. Die Erinnerungen indes gehörten ihr allein, und niemand würde sie ihr nehmen können. Majagua hatte ihr einen Traum gegeben.
Erst auf dem Weg aus dem Lager hatte sie die drei Schiffe gesehen, die Tangye angekündigt hatte: das große schwarze und die kleineren, deren Rümpfe weiß-blau waren. Sie mussten in der Nacht leise in die Bucht eingelaufen sein. Natürlich hatte sie noch nichts vorbereiten können, doch sie bezweifelte, dass Tangye deswegen böse sein würde. Während sie in der Küche Anweisungen gab, donnerte hoch über ihnen eine Kanone und löste damit helle Aufregung aus.
»Wir werden angegriffen«, rief Bebe, während sich Brizula schluchzend in eine Ecke drückte. Einige Herzschläge lang lauschten alle. Insgeheim wünschte sich Sinao fast, dass irgendwer gekommen war, um die Compagnie anzugreifen; irgendwer, der sie alle befreien würde und der Tangye an einem Balken aufknüpfte. Die Vorstellung löste eine grimmige Befriedigung in ihr aus. Schließlich schüttelte sie jedoch den Kopf.
»Nur einmal. Das kann kein Angriff sein. Vielleicht war es ein Gruß?«
»Ein Gruß? Mit den Feuerrohren?«
»Ich habe das schon mal erlebt. Wenn wichtige Männer oder Frauen kamen, wurde noch viel öfter geschossen.«
»Ein wichtiger Besucher? Aber wer sollte das sein?«
»Ein neuer Aufseher vielleicht? Ich weiß es nicht. Es sind drei neue Schiffe da. Das ist doch seltsam. Wann kamen denn bislang drei Schiffe auf einmal?«
Unsicher blickten die Sklaven einander an. In ihren Gesichtern sah Sinao Sorge. Einerseits war ihr Leben schlimm und hart, andererseits fürchteten sie die Veränderung. Sie alle hatten sich mit ihrem Leben abgefunden oder nie ein anderes gekannt. Sie hatten ihre Nischen gefunden, selbst in der Unfreiheit und der willkürlichen Gewalt. Deshalb hatte Majagua es so schwer im Dorf gehabt, erkannte die junge Sklavin. Nicht weil seine Pläne schlecht waren, sondern weil den anderen die Sicherheit der Sklaverei lieber war als die Unsicherheit der Flucht. Entsetzt erkannte sie, dass es ihr bis vor siebzehn Tagen kaum anders ergangen war. Auch sie hatte ihre Hoffnung auf Freiheit zugunsten der Sicherheit ihres Käfigs aufgegeben.
Wer auch immer dort draußen angekommen war, seine Ankunft konnte nur Veränderung bedeuten, und mit einem Mal begrüßte Sinao diese Aussicht. Was auch immer geschah, die Ankunft der
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