Sturmwelten 01
Gnade. Ihre Lippen bewegten sich sachte, als sie etwas in sein Ohr flüsterte. Seine Miene blieb unbewegt, nicht ein Zeichen ließ erkennen, welcher Art ihre Worte sein mochten. Fasziniert betrachtete Franigo dieses Schauspiel. Der König in seiner ganzen, oft porträtierten und besungenen Pracht, mächtigster Mann des gesamten Kontinents, Eroberer von mehr als einem Dutzend Staaten, Herr über die größte und stolzeste Armee der bekannten Welt, unbesiegt in Dutzenden von Schlachten, ein genialer Taktiker und unvergleichlicher Stratege; und Tareisa, die Magierin, von der niemand sagen konnte, woher sie stammte oder worauf ihre Macht beruhte.
Ihre Züge waren von klassischer Schönheit, wie Franigo bewundernd feststellte. Ein Abbild der Büsten aus alten Zeiten, als alle Menschen im legendären Reich der Nigromantenkaiser lebten und es ihnen an nichts mangelte, außer an Glauben. Eine Frau mit einem solchen Gesicht würde jede Bühne der Welt beherrschen; ihr Anblick allein würde Heerscharen in die Theater treiben. Für einen Moment bedauerte Franigo, dass sie keine Schauspielerin war.
Dann endete die Unterhaltung offenbar, und Tareisa trat zurück, während sich der König aufrichtete und die Stimme gerade so weit erhob, dass er alle Gespräche übertönte: »Die Audienz ist beendet.«
Ein Raunen ging durch den Saal, aber der Herrscher hatte sich bereits abgewandt und schritt durch eine Tür hinaus, gefolgt nur von Tareisa und seinen Leibwachen. Zurück blieb ein erstaunter Hof, dessen Mitglieder sich sofort in Spekulationen über das Vorgefallene ergingen, und ein fast mittelloser Dichter, dem Worte zur Anbetung einer wunderschönen Frau auf der Seele brannten.
JAQUENTO
Zwischen Wachen und Träumen trieb Jaquento in einem Niemandsland, in dem die Welt um ihn her zu schwanken schien; vielleicht eine Nachwirkung der langen Seereise. Sein Geist war gefangen von Erinnerungen, die sich mit seinen Sorgen um die Zukunft vermischten.
In seinem Dämmerzustand erschien es ihm, als ob er durch enge Gassen liefe, getrieben von den Soldaten des Königs. Seine Hände ergriffen blindlings die hölzernen Sprossen einer Leiter, er zog sich empor, kletterte hinauf, immer höher und höher, obwohl er nicht sehen konnte, wohin ihn die Leiter führen würde. Sein Verfolger war nicht länger ein Mensch, sondern ein Schatten, ein Teil der Dunkelheit. Unsagbare Furcht ergriff Jaquento, zwang ihn weiter. Schließlich zog er seinen Körper auf ein flaches Dach. Eine wundervolle Ruhe umgab ihn hier, eine friedliche Stille. Endlich konnte er ausruhen.
Doch dann spürte er, mehr als dass er es sah, dass der Schatten noch immer hinter ihm war, dass er noch immer gejagt wurde. Er zwang sich, aufzustehen und über die Dächer weiterzuhasten. Kein Mond stand am Himmel, und dennoch war die Nacht nicht dunkel. Er rannte und rannte, strengte sich mehr an, als jemals zuvor in seinem Leben, doch trotz aller Anstrengung kam er nicht voran, und der namenlose Schatten kam immer näher. Als er auf seine Füße blickte, sah er, dass sie über die Planken eines Schiffes liefen, ohne sich wirklich vom Fleck zu bewegen. Der Schatten hatte ihn fast erreicht. Noch einmal versuchte Jaquento mit letzter Kraft, seine Beine zu bewegen. Da endlich lösten sich seine Füße von den Planken, und er machte einen Schritt vorwärts. Zu spät erkannte er, dass vor ihm kein Boden und kein Halt mehr war. Mit den Armen rudernd, stürzte er in die Tiefe.
Im gleichen Augenblick wurde er zum Schatten, schälte sich sein Körper aus den Umrissen des namenlosen Verfolgers. Vorsichtig trat er an den Rand des Daches und spähte hinunter. Weit unter ihm lag der zerschmetterte Körper eines Mannes. Sein Kopf hing seltsam verdreht auf den Schultern. Jaquento betrachtete den Toten und sah entsetzt in sein eigenes Gesicht.
Verschwitzt und mit rasendem Herzen tauchte er aus dem Meer des Halbschlafs auf. Er versuchte sich an zwei, drei ruhigen Atemzügen und stöhnte, da die Kopfschmerzen gnadenlos ihre Krallen in seinen Geist schlugen. Als er die Augen öffnete, fachte grelles Licht die Qualen weiter an, sodass er matt die Hand vor das Gesicht hielt. Ein säuerlicher Geruch hing in der Luft, und noch immer bewegte sich die Welt unter ihm. Wein , schoss es ihm durch den Kopf, dann wurde ihm auch schon schlecht. Welle um Welle von Übelkeit strömte durch seinen Körper, bis er sich auf die Seite rollte und sich würgend übergab.
Trotz des ekelerregenden Geschmacks im Mund
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