Sturmwelten 01
der Sicherheit zu geben. Es war, als hätte nicht nur seine innere, sondern auch seine äußere Welt jeglichen Halt, jeglichen Fixpunkt verloren.
»Entführt ist ein unschönes Wort«, erwiderte Rahel mit einem spöttischen Lachen. »Ich bevorzuge: gepresst.«
Jaquento wollte protestieren, wollte sie beschimpfen, wollte schreien, doch er erkannte, dass dies alles sinnlos gewesen wäre. Er blickte sich um, sah, dass Gesichter auf sie beide gerichtet waren. Harte Mienen, kalte Augen. Hier und da konnte er Belustigung erkennen, nirgends Hilfe. Lediglich Bihrâd wirkte freundlich, doch er schüttelte langsam den Kopf.
»Ich bin keine Frau, zu der man leichtfertig Nein sagt«, erklärte Rahel.
Unwillkürlich fasste Jaquento an seine Seite, doch sein Degen war verschwunden. Rahels Miene verfinsterte sich augenblicklich. Dennoch hob sie die Arme und deutete mit verschwenderischer Geste um sich: »Willkommen auf der Todsünde , Jaquento! Sie ist nun dein Heim und dein Schicksal!«
»Nein!«, schleuderte der junge Mann ihr entgegen und ballte die Fäuste. Seine Zähne knirschten, und er bebte am ganzen Leib; seine Verwirrung wich einem heißen Zorn.
»Du bist nicht besonders schnell von Begriff, hm?«, fragte Rahel kalt und blickte zu einigen Seeleuten, die sich dem Schauspiel genähert hatten. Gehetzt blickte Jaquento sich um. Niemand war ernsthaft bewaffnet, doch der hünenhafte Quibon trat an die Reling und zog einen Belegnagel aus der Halterung. Die Muskeln des Dunkelhäutigen spielten unter seiner Haut, als er das Holz bedeutungsschwer in seine Handfläche klatschen ließ. Jaquento richtete seinen Blick auf den Mann, der langsam näher trat. Sein ganzer Körper spannte sich an, er war bereit, loszuschlagen.
»Was geht hier vor?«
Die Frage donnerte über das Deck; die Stimme riss die Köpfe herum, zwang sie, sich dem Sprecher zuzuwenden. Aus der Türe trat ein großer Mann in einem leuchtend grünen Uniformrock, auf dessen dunklem Haar ein etwas altmodischer Dreispitz saß. Eine dunkle Feder wogte auf dem Hut im Wind. Das Erscheinen des Mannes ließ die Seeleute zurückweichen, ehrerbietig, beinahe ehrfürchtig machten sie ihm Platz.
»Der Neue, Käpt’n«, erklärte Quibon, der beinahe so etwas wie Haltung angenommen hatte. »Er macht Ärger.«
Der so Angesprochene hob eine Augenbraue und studierte Jaquento eindringlich. Ohne den Blick abzuwenden, fragte er: »Ist das korrekt, Rahel?«
»Ja.«
Auch Jaquento ließ den Mann nicht aus den Augen. Plötzlich lächelte der Kapitän und schüttelte belustigt den Kopf.
»Nun, kein Wunder, nicht wahr? Unser Gast kennt weder unsere Gepflogenheiten, noch hatte er Zeit, sich an diese zu gewöhnen.«
Verwundert sah Jaquento sich um; die Seeleute wirkten nicht mehr bedrohlich, die Aura der Gewalt war verschwunden. Alle blickten zum Kapitän, der eine höfliche Verbeugung andeutete und den Hut hob.
»Mein Name ist Rénand Deguay. Ich bin der Kapitän der Todsünde . Ihr seid …?«
»Jaquento«, antwortete der junge Mann nach kurzem Zögern.
»Jaquento. Betan! Willkommen an Bord. Seid unser Gast, Jaquento, bis Ihr Euch entschieden habt.«
»Entschieden?«
»Wenn Ihr bei uns bleiben wollt, dann seid Ihr uns willkommen. Wollt Ihr uns aber verlassen, so steht Euch auch dies frei. So lange seid Ihr mein Gast«, erläuterte Rénand liebenswürdig, dann wandte er sich an Rahel. Diesmal klang seine Stimme scharf: »Besorg Jaquento einen Schlafplatz. Und Kleidung.«
»Sofort!«
»Ihr müsst Rahel verzeihen«, bat der Kapitän, »sie meinte es sicherlich nur gut. Sie würde keine Landratte mit an Bord bringen. Sie glaubt, dass Eure Bestimmung die See ist.«
»Bestimmung? Mir erschien es eher so, als ob sie es so bestimmt habe«, erwiderte Jaquento, der das Gefühl hatte, sein Leib wäre aus Luft gemacht und könne jeden Moment vom Wind davongeweht werden. Auch sein Kopf war leicht, die Schmerzen für den Augenblick vergessen.
»Oh ja.« Das Lachen des Kapitäns klang aufrichtig. »Sie hat einen dicken Schädel! Aber jetzt werdet Ihr Euch frisch machen wollen, nehme ich an. Wir können später noch reden, wenn Ihr an meiner Tafel speist. Betan?«
Damit ließ er den ratlosen Jaquento allein auf dem Achterdeck zurück. Alle anderen hatten sich wieder an ihre Arbeit gemacht. Nur Bihrâd kam zu Jaquento und deutete auf die Einstiegsluke: »Hier entlang.«
Ohne Widerspruch folgte der junge Mann dem Fremden in die Dunkelheit des Schiffsinneren.
Die Nacht kam schnell in
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