Sturmwelten 01
stieg Erleichterung in ihm auf. Müde drehte er sich auf den Rücken zurück, sein Leib entspannte sich, auch wenn das Schwanken unaufhörlich weiterging.
»Trink«, sagte eine ruhige Stimme, und kühle Flüssigkeit rieselte über seine Lippen. Gierig spülte Jaquento das Brennen aus seiner Kehle, registrierte den Geschmack des Wassers, das erfrischende Klarheit mit sich brachte. Abrupt richtete er sich auf: »Wer …? Wie …?«
Doch die Bewegung trieb ihm rot glühende Lanzen durch die Stirn, sodass er erst einmal zusammenzuckte. Selbst vor seinen geschlossenen Augen tanzten bunte Schemen, die ihn zu verhöhnen schienen, während er vorsichtig die Muskeln in seinem Nacken anspannte und beide Hände gegen die Schläfen presste. Langsam und sehr vorsichtig öffnete er die Augen, als die Schmerzen verebbten.
Um ihn herum herrschte Dämmerlicht. Nur wenige Sonnenstrahlen, in denen Staub tanzte, fielen in den Raum. In einem dieser Strahlen saß ein Mann, dessen Gesicht im Schatten einer Kapuze verborgen war.
»Ich kenne dich«, flüsterte Jaquento mit rauer Stimme. »Du gehörst zu Rahel … aber was tust du in meinem Zimmer?«
»Alkohol bringt auch den weisen Mann dazu, einen Pakt mit den Fünfzehn Höllen zu schließen«, erwiderte Bihrâd mysteriös. Indes er sich erhob, fügte er schmunzelnd hinzu: »Und er bringt die Daemonen des Schmerzes gleich mit.«
»Was?«
Aber der Angesprochene antwortete nicht, sondern drehte sich um und ging fort. Wenn wenigstens dieses infernalische Schaukeln aufhören würde , schoss es Jaquento durch den Kopf. Das Knarren, das Rauschen des Wassers, die Schreie der Möwen – das alles verhinderte, dass er sich auf seine Situation besinnen konnte. Schaukeln. Wasser. Knarren . Sein Geist war unstet, doch ein Gedanke schälte sich aus dem Chaos wie Klippen aus dem Nebel: Ein Schiff! Ich bin auf einem Schiff !
Hastig sprang Jaquento auf, biss die Zähne zusammen, weil sein Schädel darauf mit neuen Hammerschlägen antwortete, und taumelte hinter Bihrâd her. Undeutlich nahm er Kisten und Fässer wahr, Ballen von Stoffen und Taurollen. Ein kleiner Schatten huschte vor ihm davon: eine Ratte. Der Geruch von Holz und Teer stieg ihm in die Nase.
Bihrâd achtete nicht auf ihn, sondern stieg eine steile Treppe empor. Die Gestalt des Fremden zeichnete sich vor dem hellen Rechteck einer Luke ab. Immer noch ohne zu begreifen, folgte Jaquento dem Schweigenden weiter.
Sie stiegen durch ein niedriges Deck. Im Dämmerlicht erkannte Jaquento die Umrisse von Kanonen, die festgezurrt hinter geschlossenen Stückpforten standen. Die Eindrücke überfielen Jaquento, ließen ihm keine Zeit zum Atemholen, geschweige denn zum Nachdenken. Er versuchte, aus den Bruchstücken seiner Erinnerungen eine Geschichte zu zimmern, ein Floß, das ihn sicher tragen konnte. Doch dann stand er im gleißenden Sonnenlicht, mitten auf dem Achterdeck eines, wie es auf den ersten Blick schien, Dreimasters. Ungläubig blinzelte der junge Mann, bis seine Augen sich an das intensive Licht gewöhnt hatten. Um ihn herum herrschte das geschäftige Treiben einer Schiffsmannschaft; Männer und Frauen gingen ihrer Arbeit nach, ohne sich um den Fremden zu kümmern, der fassungslos in ihrer Mitte stand.
Jaquento sah Menschen aller möglichen Nationalitäten, die gemeinsam an Tauen zogen oder hoch oben in den Masten weitere Segel setzten. Befehle wurden gebrüllt, das Schiff pflügte rauschend durch die See, Holz knarrte, ein noch nicht komplett gesetztes Segel knatterte im Wind. Die frische Brise vertrieb den Dunst aus Jaquentos Kopf, ein unnachahmlicher Geruch stieg ihm in die Nase, eine Mischung aus Salz, Wasser und dem Ruf des endlosen Meeres: Seeluft.
»Ah!«, erklang es vom Poopdeck über ihm. Langsam drehte er sich um und sah Rahel, die sich an die Reling lehnte und ihn breit angrinste. Ihr Haar war mit einem Band nach hinten gebunden, aber ansonsten trug sie die gleiche einfache Kleidung wie am Abend zuvor.
»Was soll das?«, zischte Jaquento. Es dauerte einige Momente, bis er ein ruhigeres »Meséra« anfügte.
»Erinnerst du dich noch daran, dass ich dir versichert habe, man könne dich nicht zwingen, mein Angebot anzunehmen? Nun, ich habe gelogen …«
»Ihr habt mich entführt«, stellte Jaquento ungläubig fest. Obwohl er sie ausgesprochen hatte, erschienen ihm seine eigenen Worte unverständlich und fern seiner Vorstellungskraft. Das Stampfen und Krängen des Schiffes war nicht gerade dazu angetan, ihm ein Gefühl
Weitere Kostenlose Bücher