Sturmwelten 01
als Bezeichnung zu weit gehen.«
»Ayvon ist unser Gast, ebenso wie Ihr, Jaquento. Er begleitet uns, bis wir sein Schiff wiedertreffen. Seine Hilfe bei der Suche nach Beil war unersetzlich.«
»Verrat kann nicht geduldet werden«, erklärte Ayvon gewichtig. »Und so unschön es sein mag, ein Exempel musste statuiert werden.«
»Ganz zu schweigen von der Strafe für die feige Sau«, warf die blonde Frau ein, deren nordische Abstammung nicht nur von ihrem Aussehen, sondern auch von ihrem rauen Akzent her offensichtlich war.
»Das ist Hilrica, unsere Navigatorin«, stellte der Kapitän die Frau vor, die sich grüßend an die Stirn tippte. »Quibon, meinen Zweiten Offizier, und Rahel, meine Nummer eins kennt Ihr ja bereits. Und das ist Bihrâd, der ebenso geschickte wie schweigsame Doktor unserer kleinen, verschworenen Gemeinschaft. Man könnte sagen, dass dies die Offiziere der Todsünde sind.«
»Ich fühle mich geehrt«, gab Jaquento zu und verneigte sich.
»Ein Festmahl!«, rief Rahel. »Genug des Redens. Das will alles gegessen werden!«
»Setzt euch, greift zu«, befahl der Kapitän. »Es ist genug für alle da. Selbst für Quibon!«
»Abwarten«, knurrte der große Mann und nahm gemeinsam mit den anderen Platz an der Tafel. Endlich durfte Jaquento zugreifen, und das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er stapelte Brot und geräuchertes Fleisch vor sich auf, nahm Käse und eine seltsam raue, tiefrote Frucht, die verführerisch duftete. Nur den Wein lehnte er ab und begnügte sich mit Wasser, was die anderen zu Sticheleien reizte. Im Übrigen drehten sich die Gespräche um das Meer und die einträglichsten Routen, um Handelsplätze, Häfen, Seeungeheuer und die beste Art, Frischwasser an unbekannten Küsten aufzuspüren und aufzunehmen, und keiner schien sich an dem Fremden am Tisch zu stören; lediglich Bihrâd warf Jaquento hin und wieder Blicke zu, die für den jungen Hiscadi schwer zu deuten waren. Er mag mich nicht , dachte Jaquento, wurde aber von einer zotigen Geschichte aus Hilricas reichhaltigem Schatz deftiger Erzählungen abgelenkt.
Während der junge Mann mit der einen Hand die Gabel führte, um sich ein neues Stück Schweinefleisch aufzulegen, blickte er Kapitän Rénand an: »Dies ist doch kein gewöhnliches Handelsschiff?«
»Wie kommt Ihr darauf?«, fragte der Kapitän mit unbeteiligter Miene.
»Ihr habt mehr Geschütze an Bord, als es für einen Händler vorstellbar ist. Fast zwei komplette Decks, alles schweres Gerät, dazu die Schwenklafetten mit den, was mögen es sein, Einpfündern?«
Jaquento sah fragend in die Runde. Alle schwiegen, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Verwirrt ließ er die Gabel sinken.
»Ihr wisst zu viel, Jaquento«, flüsterte der Kapitän bedrohlich. »Viel zu viel! Das ist Euer Ende!«
»Was?«, erwiderte der junge Mann und packte seinen Degen. Er saß eingeklemmt zwischen Tisch und Bordwand; ein unmöglicher Ort, um zu kämpfen.
Da brach der Kapitän in Gelächter aus, in das alle Anwesenden, mit Ausnahme Bihrâds, einstimmten.
»Sein Gesicht!«, rief Rahel und nahm einen tiefen Schluck Wein.
»Ihr habt recht, Jaquento«, gestand der Kapitän. »Dies ist kein einfacher Händler. Wenn es die Umstände erlauben oder wenn die Geschäfte schlecht laufen, geht die Todsünde auf Kaperfahrt. Wir sind Freibeuter, ausgestattet mit Kaperbriefen und dem Siegel der Krone.«
»Freibeuter.« Jaquento ließ sich die Erklärung auf der Zunge zergehen.
»Ja«, sagte Rénand leise. »Freibeuter. Wie das Wort schon sagt: Freie Männer und Frauen, die ihr eigenes Schicksal bestimmen. Deshalb denke ich, dass du an Bord bleiben wirst, Jaquento. Weil wir sind, was du suchst.«
Die Runde blickte den jungen Mann gespannt an. Die Leckerbissen vor ihm waren vergessen, selbst die Umstände seines Aufenthalts. Draußen schrien die Möwen, die sich um die Kombüsenabfälle balgten, während Jaquento ein Kribbeln in den Fingern verspürte, eine Hoffnung, wie er sie seit vielen Tagen nicht gehabt hatte.
ROXANE
Der Wind kam steif vom Nordosten, wie Roxane zufrieden feststellte, als sie das Achterdeck betrat. Die See war immer noch leidlich rau, aber in den letzten Tagen hatte sich ihr Körper an den Seegang gewöhnt. Mit einem Schaudern dachte sie an die albtraumhaften Tage zwischen Wachen und Schlafen zurück, die sie zwischen ihren Wachdiensten in der stickigen Enge ihrer Kammer verbracht hatte, während ihr Magen gegen jede Art von Nahrung rebelliert hatte. Letzte Nacht hatte
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