Sturmwelten 01
sie zum ersten Mal, seit sie an Bord gekommen war, einige Stunden durchschlafen können.
Jetzt wehte der kühle Wind ihr die letzten Spinnweben des Schlafs aus dem Geist. Ihr Blick wanderte über die See, die tiefblau, fast schwarz, von schäumenden Wellen gekrönt war. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, und die Welt war noch in ein dunstiges Zwielicht gehüllt, das schon bald weichen würde. Eine lebhafte See, aufgewühlt, aber nicht wütend. Die Wellen sehen eher aus, als ob sie mit unserem Schiff spielen wollten . Während Roxane grüßend die Finger an den Zweispitz hob, musste sie ein Schmunzeln über ihre Gedanken unterdrücken.
»Wind konstant von Nord-Ost, Leutnant Hedyn, Kurs wird laut Anweisung des Kapitäns beibehalten. Der Wachhabende soll regelmäßig die Abdrift überprüfen.«
»Aye, aye, Leutnant Frewelling«, erwiderte Roxane und nickte kurz. Ein Blick zu den Masten bestätigte ihr, dass der Kapitän die Segel eher konservativ gesetzt hatte.
»Sie liegt gut vor dem Wind«, erklärte Frewelling und lächelte, was ihn nicht nur verschmitzt, sondern auch deutlich jünger aussehen ließ, wie Roxane fand. »Sie macht fast zwölf Knoten. Aber ich kenne die Mantiko r: Wenn es noch weiter auffrischt, wird sie unruhig werden.«
»Die Mantikor-Klasse wird leegierig, habe ich gehört?«
»Das stimmt. Sie dreht nach Lee ab, wenn bei hartem Wind zu viel Segel gesetzt sind.« Der junge Offizier zögerte einen Moment, dann fuhr er fort: »Der Kapitän wünscht übrigens stets über jede Änderung der Besegelung vorab informiert zu werden.«
Skeptisch blickte Roxane an den Masten hoch. Das Segeltuch war prall gespannt, die Segel akkurat ausgerichtet. Kein verdächtiges Knattern war zu hören, kein Flattern zu sehen.
»Wenn der Wind hält, wird das kaum nötig sein«, stellte sie fest, und Frewelling nickte zustimmend. Schweigend standen die beiden nebeneinander und blickten über das Meer, das im Licht der aufgehenden Sonne mehr und mehr an Farbe gewann.
»Mantikor ist ein Name aus dem Süden. Wie der Ihre, nicht wahr?«, fragte der Leutnant schließlich.
»In der Tat«, gestand Roxane. Sie suchte nach Anzeichen von Belustigung in Frewellings offenem Gesicht, fand jedoch nur echtes Interesse. »Mein Vater hat von diesen mythischen Kreaturen auf seinen Reisen durchaus gehört. Wobei er in seinen Berichten über den Süden weniger von Mantikoren als vielmehr von den zahllosen Stechmücken des Mündungsdeltas des Tarnts gesprochen hat.«
»Dann sind Sie mit der Flotte sozusagen auf den Spuren Ihres Vaters gefahren?«
»Nein«, antwortete sie rasch, um dann freundlicher hinzuzufügen: »Wir haben zwar den Fluss gesehen, aber das Land nicht betreten. Die Flotte hat sich gleich wieder auf den Rückweg gemacht.«
»Verstehe«, erwiderte der Leutnant und blickte wieder hinaus auf die See. Auch Roxane schwieg. Sie genoss den aufziehenden Morgen und fand Frewellings Gesellschaft dabei angenehm. Gerade auf einem Schiff, wo es kaum Möglichkeiten gab, jemandem aus dem Weg zu gehen, war es wichtig, Mannschaftskameraden zu finden, deren Gesellschaft man schätzte.
»Sie fahren schon lange mit Kapitän Harfell?«, erkundigte sie sich.
»Ich habe bislang zwei Fahrten mit ihm gemacht. Allerdings beide nur im Kanal. Trotzdem haben wir einiges zusammen erlebt und auch Prisen aufgebracht. Die Mannschaft liebt den Kapitän; seine Spürnase für fette Beute lässt ihre Börsen aufblühen.«
»Er ist ein guter Kapitän, nicht wahr?«
Frewelling schwieg für einige Momente. Dann antwortete er langsam: »Ich habe selten einen Seefahrer getroffen, der ihm ebenbürtig wäre. Und er ist auch ein hervorragender Soldat, ein wahrhaft kämpfender Kapitän .«
Verwirrt blickte Roxane den Leutnant an, dessen Stimme eigenartig tonlos klang, als ob er einen auswendig gelernten Vers rezitierte. Die Antwort war seltsam ausweichend und passte offenkundig nicht zu dem ansonsten so offenen Wesen des Offiziers. Bevor sie jedoch nachfragen konnte, lächelte Frewelling wieder und strich sich mit einer Hand die Haare aus dem Gesicht. Der Wind hatte einige Strähnen aus seinem Zopf gelöst und sie ihm in die Stirn geweht.
»Und Sie? Frisch befördert? Schmeckt die Seeluft als Leutnant noch ebenso wie als Fähnrich?«
In Frewellings Augen blitzt der Schalk auf. Jetzt musste auch Roxane lächeln
»Es werden nicht gerade weniger Pflichten, Thay. Aber es war immer mein Traum, Offizierin zu werden. Vielleicht irgendwann ein eigenes Kommando
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