Sturmwelten 01
zu haben. Und bis es so weit ist, kann ich von Vorgesetzten wie Kapitän Harfell viel lernen.«
Wieder wurden die Züge des Leutnants reglos und undeutbar, und der Geist, der eben noch in den braunen Augen gefunkelt hatte, zog sich zurück, sodass Roxane nicht einmal mehr ahnen konnte, was er dachte.
»Sprechen Sie von mir, Leutnant?«, ertönte unvermittelt die schnarrende Stimme des Kapitäns hinter den beiden Offizieren. Erschrocken fuhr Roxane herum und nahm Haltung an. Wieso habe ich ihn nicht heraufkommen hören? Er hat sich so leise bewegt, als hätte er sich angeschlichen , dachte Roxane, während sie salutierte.
»Ja, Thay. Ich sagte, dass ich mich darauf freue, mir auf dieser Fahrt einiges von Ihnen abzuschauen, Thay!«
»So.« Das Wort hing in der Luft. Erst nachdem einige Sekunden verstrichen waren, wandte sich Harfell an Frewelling: »Stimmt das, Leutnant?«
»Ja, Thay«, erwiderte dieser knapp. Sein Blick war starr geradeaus auf den Horizont gerichtet, seine Haltung tadellos.
»Sehr gut.« Der Kapitän wirkte zufrieden. »Sie wollen also einiges von mir lernen, Leutnant, nicht wahr?«
»Ihr Ruf ist beinahe schon legendär, Thay.«
»Reputation mag in den Salons zählen, Leutnant, wo Offiziere sich bei einem Brandy gegenseitig belügen, dass sich die Balken biegen. Hier auf See zählen nur Erfahrung, Mut und Loyalität!«
»Ja, Thay!«
»Habe ich Ihre Loyalität, Leutnant? Unabdingbar, ohne Zweifel oder Zögern?«
»Natürlich, Thay!«
Die seltsamen Fragen des Kapitäns ließen Roxane aufhorchen, doch er schien dies nicht zu bemerken. Stattdessen lächelte er und nickte zufrieden. »Gut so. Wie viel Knoten machen wir, Leutnant Frewelling? Zwölf?«
»Ja, Thay.«
»Meine Order bleibt unverändert. Wenn das Wetter anhält, sollten wir in spätestens zehn Tagen die Windinseln passieren. Seien Sie dankbar, die Einheit ist mit uns.«
Damit drehte der Kapitän sich um und stieg die steile Leiter hinab unter Deck.
»Ich übergebe jetzt die Wache an Sie, Leutnant Hedyn«, erklärte Frewelling steif und folgte Harfell, scheinbar ohne auf ihr hastig gemurmeltes »Aye, aye, Thay« zu achten. Zwischen den beiden gibt es Spannungen , dachte Roxane bei sich, während sie vom Fähnrich die Zeit abfragte. Keine gute Situation an Bord eines Schiffes, das möglicherweise viele Tage auf See sein wird . Doch sie konnte an den Umständen nichts ändern, und so machte sie sich daran, die Eigenschaften und Eigenarten der Mantikor kennenzulernen, die auf unbestimmte Zeit ihre Heimat sein würde.
Obwohl das Schiff älterer Bauart war, lief die Mantikor gut vor dem Wind. Tatsächlich war sie nach dem Stapellauf so erfolgreich gewesen, dass ihr eine ganze Klasse von Fregatten gefolgt war, die alle nach mythischen Kreaturen benannt worden waren. Während Roxane so in Gedanken auf dem Achterdeck auf und ab ging, betrat eine schmächtige Gestalt das Deck und hustete vernehmlich. Ohne die Wachhabende zu beachten, trat sie an die Reling und schimpfte leise vor sich hin: »Verfluchter Wind. Wie ich die Gischt hasse!«
Verwundert betrachtete die junge Offizierin den Mann, der kaum älter als sie sein konnte. Obwohl der Tag versprach, recht angenehm zu werden, hatte er sich in einen dicken grauen Mantel gehüllt und dazu hellgraue Wollfäustlinge angezogen. Wieder hustete der Mann und strich sich irritiert eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
»Thay?«, fragte Roxane höflich.
»Was? Oh.« Der Mann wandte sich Roxane zu und musterte sie unverhohlen. Seine Augenbrauen hoben sich, während seine Augen die Erscheinung der jungen Offizierin förmlich aufzusaugen schienen.
»Ich bin Leutnant Hedyn, Thay. Ich glaube nicht, dass wir schon die Ehre hatten.«
»Natürlich sind Sie das! Eine neue Offizierin an Bord des Schiffes – da muss man keinen Traumstaub nehmen, um zu ahnen, dass Sie Leutnant Hedyn sind. Halten Sie mich für zurückgeblieben?«
Ohne sich von dem aggressiven Ton einschüchtern zu lassen, beugte sich Roxane leicht vor und blickte dem Mann in das bleiche Gesicht: »Bislang hatte ich ja noch keine Gelegenheit, mir über Sie eine Meinung zu bilden, Thay. Mit wem habe ich denn die Ehre?«
»Groferton, Coenrad Groferton. Maestre im Dienste Ihrer Majestät auf dem sicherlich schneidigen Schiff Mantikor . Und von den Unbilden dieses furchtbaren Wetters gebeutelt!«
Seine Verbeugung war wenig mehr als ein Kopfnicken. Dafür war die Bewegung, mit der er scheinbar die gesamte See und den Himmel erfassen wollte,
Weitere Kostenlose Bücher