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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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er fort: »Sie hatten Wache, und es lag in Ihrem Ermessen, ob der Sturm zu stark für die Betakelung war. Außerdem teile ich Ihre Einschätzung – es hätte nicht viel gefehlt.«
    »Das sagen Sie mir jetzt?«
    Ein Knoten löste sich in Roxanes Brust. Mehr und mehr war sie von ihrer eigenen Schuld überzeugt gewesen, bis sie ihre eigenen Entscheidungen nicht mehr verstand. Inzwischen war sie zu der Überzeugung gelangt, dass es ihr Fehler gewesen war. Doch jetzt kam Frewelling und stellte ihre Meinung wieder auf den Kopf.
    Der Leutnant starrte sie verwirrt an. »Ich verstehe nicht …«
    »Wieso haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
    »Ich war mir nicht sicher, dass Sie meine Gedanken überhaupt interessieren. Selbst wenn ich Ihnen recht gebe – das letzte Wort hat schließlich der Kapitän.«
    »Wollen Sie damit andeuten, dass der Kapitän im Unrecht ist?«, fragte Roxane leise. Wieder blickte sich Frewelling um, bevor er antwortete: »Ich deute gar nichts an. Ich sage Ihnen lediglich, dass ich an Ihrer Stelle ebenso gehandelt hätte.«
    Obwohl sie noch immer verwirrt war, taten ihr seine Worte gut. Sie beruhigte sich. Schlagartig wurde ihr die Ungerechtigkeit bewusst, mit der sie behandelt worden war, die haltlose Beschuldigung und die Tatsache, dass der Kapitän eher das Schiff in Gefahr gebracht hätte, als seinen Offizieren Handlungsspielraum zuzugestehen.
    »Auch ein Kapitän macht Fehler, Frewelling. Und Harfell kann ziemlich … unberechenbar sein, oder irre ich mich da?«
    Frewelling neigte bestätigend den Kopf. Dann entgegnete er leise: »Manchmal denke ich sogar, dass er … nicht mehr fähig ist, ein Schiff zu führen.«
    Sie schwieg, denn der Gedanke war zu ungeheuerlich, als dass sie sofort hätte antworten können. Manchmal denke ich, dass er dienstunfähig ist. Noch hatte es nur ihr Gegenüber gesagt. Noch hatte sie durch nichts zu verstehen gegeben, was sie von dieser Ansicht hielt. Ihr Blick fiel auf Frewelling, der bleich geworden war.
    »Das ist gefährliches Gerede, Leutnant. Das wissen Sie ebenso gut wie ich.«
    »Ich muss zurück. In meine Kammer«, erwiderte der junge Mann und erhob sich steif.
    Roxane ließ ihn gehen und blieb, in ihre eigenen Gedanken versunken, sitzen. Eine solche Anschuldigung bedeutete Kriegsgericht, ob nun begründet oder nicht. Ein Kapitän wurde durch die Admiralität eingesetzt, die von der Königin selbst dazu ermächtigt war; an seiner Autorität zu zweifeln hieß, an der Autorität der Königin zu zweifeln. Das war ein so ungeheuerlicher Gedanke, dass jede Faser von Roxanes Wesen dagegen rebellierte. Dennoch trieben die Fragen durch ihren Geist, trügerisch leicht, doch schwerwiegend. Was, wenn Frewelling recht hat? Wenn der Kapitän nicht mehr fähig ist, in all seinem Hass dieses Schiff zu führen? Wenn er uns im nächsten Sturm wieder alle in Gefahr bringt, nur weil er sich davor fürchtet, dass seine Autorität untergraben wird? Einmal ausgesprochen, mochten diese Gedanken ein Todesurteil darstellen, und es gelang ihr nicht, sie völlig zu vertreiben.
    Ihr Blick fiel auf die Reste ihres Essens, doch der Appetit war ihr längst vergangen.

FRANIGO

    Es war ein schwerer Gang. Selbst zu seinen besten Zeiten war das Viertel von Rendont ein unangenehmer Ort. Hier waren einst die Handwerke angesiedelt worden, deren Ausübung die braven Bürger in ihrer Lebensfreude beeinträchtigen mochten. Natürlich hatten die alten Zünfte und Gilden sich ausgebreitet, waren in andere Viertel gezogen, hatten Manufakturen vor den Toren von Cabany eröffnet, und ihre Besitzer speisten nun von silbernen Tellern. Aber der schlechte Ruf des Viertels blieb, und so waren seine Mieten ebenso niedrig wie die Gebäude, und es zog jenen Teil der Gesellschaft an, der von der Unvorsichtigkeit und Leichtgläubigkeit der anderen Teile profitierte.
    Ein übel beleumundetes Viertel, das von ehrbaren Bürgern gemieden wurde und wo man nachts schnell die Börse oder Wertvolleres verlieren konnte. Ein Degen mit einem fähigen Arm kostete hier weniger als anderswo ein gutes Essen, und auch Gewissen ließen sich mit Gold kaufen und zum Schweigen bringen. Der rechte Ort also für ein Gefängnis; vor allem, wenn in diesem Gefängnis hauptsächlich Schuldner einsaßen.
    Aber Franigo hätte sich selbst des Nachts in das Viertel getraut. Niemand würde ihn überfallen, und keinem wäre er auch nur den halben Lunar wert, einen gedungenen Mörder zu bezahlen. Die Kleidung, die er nun trug, war

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