Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
machte sich Sorgen. Wenn Manoel nicht zurückkam, wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Fremd auf einer fremden Insel, umgeben von Menschen, die sie nicht verstand. Ihr Herz schlug jetzt schneller, und ihr Mund wurde trocken.
Endlich klopfte es an der Falltür. Dreimal langsam, genau, wie sie es ihm gezeigt hatte, auch wenn Sinao bemerkte, dass er unregelmäßiger klopfte als sie selbst. Vorsichtig kletterte Sinao die Leiter empor, schob den Riegel zur Seite und hob die Tür einen Spalt. Als Manoel grinste, entblößte er weiße, gleichmäßige Zähne. Sein Lächeln war breit, es erfüllte den ganzen Raum und hob ihr Herz.
Aber er sprach erst, nachdem er eingetreten war und die Tür sicher hinter sich verschlossen hatte: »Ich habe eins gefunden, Sin.«
»Ein Schiff?«
»Nein, ein Altargemälde«, erwiderte er ausgelassen. »Natürlich ein Schiff. Es läuft morgen ganz früh aus, und der Käpt’n hat uns angeheuert. Wir sind nix Besonderes, nur einfach Deckschrubber, aber es ist ja nur für eine Fahrt, dann sehen wir weiter. Das Rattenloch hier lassen wir jedenfalls hinter uns!«
Ihr fehlten die Worte, um ihre Freude auszudrücken. Stattdessen sprang sie vor und umarmte ihn. Sie spürte seine warme
Haut unter der dünnen Kleidung, seinen schlanken, sehnigen Körper. Er roch nach frischer Luft, nach Regen und nach Meer. Nach Freiheit .
»Und was noch besser ist: Ich habe gehört, dass die Compagnie deinen Freunden Geld geben will. Angeblich sollen sie Arbeit bekommen oder in ihre Heimat gebracht werden. Ein paar Leute am Hafen haben das erzählt.«
»Was, die anderen … Befreiten?«
»Ja«, erwiderte er lächelnd. »Da soll ein neuer Mann aus Thaynric gekommen sein, der dafür gesorgt hat. Vielleicht gibt es doch so etwas wie Gerechtigkeit.«
Sie musste an Majagua denken, an die blutigen Zähne, an seinen Tod. Nichts konnte das wiedergutmachen. Kein Geld der Welt und keine Arbeit konnten ihr das geben, was sie verloren hatte. Vielleicht sah Manoel das in ihren Augen, denn er legte die Arme um sie und hielt sie fest.
»Das Leben ist nun mal so. Man muss nehmen, was es einem gibt, Gutes und Schlechtes. Wir können vieles bewirken, Sin, durch das Mojo. Die Welt formen und verändern. Und trotzdem macht die Welt schließlich doch mit uns das, was sie will. Vergiss niemals, was geschehen ist, aber lass dich davon nicht kaputtmachen.«
Obwohl sie es nicht wollte, musste sie weinen, und er hielt sie fest, bis ihre Tränen versiegt waren.
»Bei allem, was heilig ist und lecker schmeckt«, sagte er dann mit einem Kichern. »Wir verschwinden von hier! Kein langweiliges Land mehr, kein Keller, keine Angst. Ab morgen sind wir wieder frei und auf dem Meer, und dann nehmen wir die Winde, wie sie wehen – oder lassen die Winde wehen, wie es uns gefällt!«
Der junge Maestre schloss die Augen und führte einen kleinen Tanz auf. Er zog sich das Tuch vom Kopf, wirbelte es durch die Luft und ließ es zu Boden segeln. Die zotteligen Zöpfe flogen
ihm um den Kopf, und seine Hände fuhren schnippend durch die Luft. Sinao packte ihren Rock und machte einige Tanzschritte, und dann griff Manoel nach ihr und wirbelte sie im Kreis umher. Lachend tanzten sie so, bis er ausglitt und auf den Hosenboden fiel, wodurch Sinao auf ihre Schlafstatt geschleudert wurde, wo sie kichernd und nach Luft schnappend liegen blieb.
Erst als sie die Schritte auf den Bohlen über sich hörte, kehrte die Furcht zurück, drängender und schlimmer als je zuvor, denn jetzt hatte sie für einen Moment die Freiheit gekostet.
»Hier spricht Admiral Thyrane«, erklang eine dunkle Männerstimme, seltsam gedämpft durch das Holz. Sinao wechselte einen Blick mit Manoel, der ebenso regungslos dalag wie sie selbst. Drei Herzschläge lang hoffte sie, dass der Ruf nicht ihnen galt, doch eigentlich wusste sie es besser.
»Ich will euch keinen Schrecken einjagen«, fuhr der Mann fort. »Ich bin nicht hier, um euch zu verhaften. Ich will lediglich mit euch reden.«
Atemlos lauschte Sinao den Worten. Sie sah Manoel, dessen Gesicht zu einer Maske des Zorns verzogen war. Der junge Maestre sammelte bereits Vigoris um sich herum; Sinao konnte es spüren wie einen knisternden Luftzug, der über ihre Haut strich.
»Mir ist bewusst, dass ihr beide Angst haben müsst. Und ich weiß, wozu ihr in der Lage seid. Dennoch bitte ich euch, mir zu vertrauen.«
»Wenn du siehst, dass ich das Mojo nutze, lauf die Treppe hoch«, flüsterte Manoel, und Sinao nickte. »Wir müssen
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