Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Meine Gratulation.«
Roxane nickte steif. »Sie waren ein würdiger Gegner, Thay. Es war mir eine Ehre, mich mit Ihnen zu messen.«
»Ohne das schlechte Wetter …«
»Manchmal gehört zu unserem Geschäft auch Glück«, erwiderte sie nickend, um ihm seine Würde zu lassen.
Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass Jaquento bereits die Taschen eines der Gestürzten durchwühlte. Der andere, ihr Angreifer, lag ein Dutzend Fuß abseits, und Roxane konnte sehen, dass er nicht nur bewusstlos, sondern tot war. Die
Art, wie er mit verdrehten Gliedmaßen dalag, ließ keinen anderen Schluss zu. Also schritt sie zu Jaquento, der gerade triumphierend eine Pistole aus einer Ledertasche zog.
»Wir haben Waffen, wir haben Pferde, und zur Not haben wir sogar Uniformen, Meséra. Das Glück ist uns hold.«
Mit der Säbelspitze deutete sie auf den Kapitän. »Und wir haben jemanden, der uns vielleicht den Zielhafen der Todsünde nennen kann.«
Jaquentos Grinsen wurde breiter, und er warf ihr den Mantel seines Gegners zu. »Halbwegs trocken, bis auf etwas Blut«, erklärte er, und Roxane sah, dass er recht hatte.
Der Soldat zu ihren Füßen starrte blicklos in den Himmel, die Hände auf der Brust verkrampft. »Ich werde mir wohl seine Jacke nehmen und hoffen, dass die Einheit mir diese Sünde verzeiht«, murmelte der Hiscadi.
Sobald er sich den Uniformrock des Toten übergestreift hatte, wandte er sich wieder Roxane in ihrem neuen Mantel zu. »Wir sollten die Pferde einfangen und alles zu unseren Gefährten schaffen«, sagte er in beinahe akzentfreiem Géronaisch. »Es wartet noch viel Arbeit auf uns.«
FRANIGO
In der grauen Theorie hätte es spannend sein sollen. In der viel bunteren Praxis war es das nicht. Dieser Widerspruch regte Franigos Geist kurz an, doch dann fiel er zurück in die grenzenlose Lethargie, die schon seit Stunden von ihm Besitz ergriffen hatte.
Sie tagten nun in einem Theater, das der Versammlung den nötigen Platz und auch die ebenso nötige Bühne bot. Denn bei den Sitzungen wurde viel geredet und viel Dramatik geboten, und es schien dem Poeten, als seien an dem einen oder anderen Abgeordneten wahrhaft exzellente Schauspieler verloren gegangen. Dafür taugten sie wenig für die Politik. Aber schwafeln, das konnten sie, und zwar nicht zu knapp.
Auch jetzt lauschte er wieder einer überlangen, grausamen und menschenverachtenden Rede, gegen welche die Besatzung Hiscadis durch die Géronaee wie das geringere Übel wirkte. Der Sprecher, ein feister Mann mit schweißglänzendem Gesicht, las seine Worte von einem Manuskript mit erschreckend vielen Seiten ab. Dabei ging es nur um die Frage, ob man den Menschen aus der Region Nálava ihren Dialekt verbieten solle, um die Einigkeit der wiederauferstandenen hiscadischen Nation auch sprachlich zu festigen. Franigo war diese Debatte vollkommen egal. Weder sprach er Nálavisch, noch kannte er jemanden, der dies tat, noch glaubte er daran,
dass das Verbot irgendeines Dialekts mehr Einheit herstellen würde.
Im Zweifelsfall würden die Menschen im Süden sich wieder einmal vom Norden gegängelt fühlen und ihren Unmut in den üblichen Schmähschriften und Satiren ausleben. Einheit kann man nicht erzwingen , dachte der Poet müde. Der Redefluss ging über ihn hinweg wie das Plätschern eines Baches, ebenso einschläfernd und sinnlos.
Dabei waren die Neuigkeiten aus allen Teilen des Landes alles andere als beruhigend, und es hätte weitaus dringlichere Fragen zu erörtern gegeben. Nur leider war die Tagesordnung schon vor einiger Zeit festgesetzt worden, und eine Änderung hätte die gesamte Versammlung in Aufruhr versetzt. Und so diskutierte man über die Amtssprache der Hiscadi, während die Géronaee ihre Regimenter zusammenzogen und den Marsch gegen ihre rebellischen Untertanen begannen.
»Sicherlich wird der Abgeordnete Franigo mir zustimmen, dass Sprache von größter Wichtigkeit ist«, erklang es soeben aus dem Munde des Redners, und Franigo unterdrückte das Gähnen, das sich gerade auf seine Lippen schleichen wollte. Stattdessen nickte er benommen, als er seinen Namen vernahm und die zahlreichen Blicke sah, die auf ihn gerichtet waren. Aus irgendeinem Grund beriefen sich fast alle Redner mit ihren Anliegen auf ihn, auch wenn sie vollkommen unterschiedliche Standpunkte vertraten.
»Lasst ihnen doch ihre Zunge«, rief der Dichter und stand auf. »Wenn sie denn nur Hiscadi dazulernen. Sollten wir nicht …«
»Der ehrenwerte Franigo ist von Großmut
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