Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
sowie eine angenehme Erschöpfung im Unterleib. An Schlaf hatte bis in die frühen Morgenstunden keiner von ihnen gedacht. Jetzt jedoch schlummerte die junge Frau vermutlich, während der
Geist des Poeten weiterhin nicht zur Ruhe kam, auch wenn sein Körper danach verlangte.
»Mesér!«
Überrascht wandte Franigo sich dem Rufenden zu und erkannte Alserras, der zwischen den Zelten auf einem stolzen Rappen angeritten kam. Der ehemalige Student und jetzige Revolutionär führte ein zweites Pferd am Zügel neben sich her. Seine Reitkünste waren ausgezeichnet, aber in seiner Hast wäre er beinahe an Franigo vorbeigeprescht. Nur mit Mühe gelang es ihm, beide Tiere rechtzeitig zu zügeln.
Die Hiscadi hatten ihr Lager auf einem niedrigen Hügel aufgeschlagen, jenseits des Feldes, auf dem einige Ehre finden würden, viele aber nur den Tod. Und ich kann nicht einmal behaupten, dass ich an diesem Debakel keine Mitschuld trüge, dachte Franigo.
»Es nähern sich Soldaten von Südosten, Mesér«, erklärte Alserras, ohne sich mit Höflichkeiten wie einer angemessenen Begrüßung aufzuhalten. »Einige von uns werden ausreiten, um zu sehen, was dort geschieht. Wollt Ihr uns begleiten?«
»Was ist mit den Posten? Was haben sie gemeldet?«
»Noch nichts, Mesér. Die anrückenden Truppen wurden auf Entfernung entdeckt, und bislang weiß niemand, um wen es sich handelt.«
Leise einen Fluch vor sich hin murmelnd, ergriff Franigo den Zügel und stieg schwerfällig in den Sattel. Mit einem Mal wünschte er sich wieder in die Zeit zurück, da er mit Modestine gereist war. Damals war nur ein rachsüchtiger Marschall auf seinen Fersen gewesen und nicht gleich die gesamte Armee Sugérands. Seufzend setzte er sein Pferd in Bewegung.
Während die Zelte der Géronaee in Reih und Glied standen, war das hiscadische Lager ein Wirrwarr von Zelten und Gassen, Kochstellen, Feuern, offenen Plätzen, Pferchen, abgestellten
Wagen und all dem Material, das eine Armee benötigte – allerdings nicht genug des Materials, wie der Poet wieder einmal feststellte.
Sie folgten dem erratischen Lauf der Zeltgassen, bis sie endlich den südöstlichen Rand des Lagers erreichten. Als sie den Hügel hinabritten, sah Franigo zu Sargona empor, das jenseits der Géronaee auf einem weiteren Hügel der beginnenden Cérvennen thronte. Von der Stadt konnten sie keine Hilfe erwarten. Die eingeschlossenen Bürger konnten nicht einmal sich selbst verteidigen, geschweige denn einen Ausfall machen, um der zu ihrem Entsatz gesandten Armee beizustehen. Das ganze Unternehmen war kompletter Irrsinn, und die Erkenntnis wurde nicht dadurch leichter, dass es sein Vorschlag gewesen war, der sie in diese Lage geführt hatte. Der Gedanke lastete bleiern auf Franigos Gemüt.
Warum ihm die Menschen immer noch vertrauten, war eine Frage, die sich Franigo beinahe stündlich stellte. Jeder seiner begeisterten Mitstreiter musste doch erkennen, dass sie unterlegen waren, und all das Gerede vom unbesiegbaren Geist der Hiscadi änderte gar nichts an diesem Faktum. Dennoch achtete man noch immer sein Wort, ja, man suchte seinen Rat sogar. Zwar verstand er, dass ein Teil dieses Vertrauens daher rührte, dass er Soldat gewesen war und die Géronaee besser kannte als die meisten, andererseits aber wünschte sich Franigo angesichts der Übermacht sehnlichst, dass sie einen anderen fänden, der dumm genug war, das Heft in die Hand zu nehmen.
Als sie das Lager hinter sich gelassen hatten, erhöhte Alserras das Tempo, und schon bald galoppierten sie über die breite Straße. Einige Momente lang erfreute sich der Poet am Rausch der Geschwindigkeit und an der geschmeidigen Kraft des Tieres, dann öffnete sich vor ihnen ein Tal, und er sah hinab auf einen langen Heereszug, der sich dunkel und drohend
durch das Land wälzte. Mit einem schnellen Blick schätzte Franigo, dass es ein ganzes Regiment sein musste, dass ihnen dort entgegenzog.
Langsam ritten sie weiter und stießen nach einigen hundert Metern auf eine kleine Gruppe ihres eigenen Heeres, die in sicherem Abstand Halt gemacht hatte und das Spektakel beobachtete. Auf seine fragenden Blicke antwortete ihm nur Achselzucken.
Wütend gab er dem Pferd die Sporen und ritt vorbei. Die Naivität und der Mangel an Erfahrung im Felde dieser Männer und Frauen raubten ihm den letzten Nerv.
Schon bald wurden er und Alserras bemerkt, und eine kleine Reiterkolonne löste sich von der Flanke der marschierenden Truppe und hielt auf sie zu. Franigo
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