Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Moment, wie war noch mal der Wortlaut …« Manoel kratzte sich den Kopf, als ob er nachdenken würde, dann sagte er mit näselnder Stimme: »… in unangemessener und unzüchtiger Weise Umgang mit dem Lehrkörper hatte.«
Fragend zog Sinao die Nase kraus. »Was soll das heißen?«
Thyrane lachte laut auf. »Eine Affäre, vermute ich. Mit dem Lehrkörper, also jemandem, der dort unterrichtet hat. Ich wusste gar nicht, dass an den Akademien in Géronay mittlerweile auch Frauen ausbilden dürfen.«
Nun war es an Manoel zu lachen. »Das dürfen sie auch immer noch nicht, Admiral.«
Das Lachen des Offiziers verstummte etwas zu abrupt, und er blickte den jungen Maestre überrascht an. »Oh«, entgegnete er lediglich. Dann fügte er nach kurzem Schweigen hinzu: »Ich hoffe, die Angelegenheit hatte keine weitreichenderen Konsequenzen für Sie.«
»Nein, hatte sie nicht. Es war ein sehr verführerischer Lehrkörper, und ich habe meinen Rauswurf nicht wirklich bereut.«
Sinaos Blicke glitten von einem der beiden Männer zum anderen. Manoel war ein Kemayo ? Nun, das erklärte, warum er sie zweiundzwanzigmal umarmt, aber nie einen Versuch gemacht hatte, mehr als das zu tun.
»Thay, sie beginnen damit, Karren zu beladen«, meldete Leutnant Lerrick plötzlich.
Thyrane sprang auf. »Was laden sie denn auf die Karren?«
»Das kann ich nicht genau erkennen, aber es handelt sich auf jeden Fall um Fässer. Eine ganze Menge Fässer, alle in der gleichen Größe. Die Leute, die die Karren beladen, sind alles Eingeborene. Und sie sehen aus, als ob ihnen die Arbeit höllische Angst macht.«
Der Admiral nahm Leutnant Lerrick das Fernrohr aus der Hand und richtete es wieder auf die Küste.
»Schießpulver«, erkannte Thyrane nach kurzem Zögern. »Sie wissen, dass wir nicht davonsegeln werden. Und lieber sprengen sie ihren verdammten Fund im Dschungel in die Luft, als dass wir ihn finden.«
Der Admiral senkte das Fernrohr und begann angespannt hin und her zu laufen, während er überlegte.
Schließlich blieb er stehen und musterte Sinao und Manoel, bevor er die Offizierin ansah.
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig«, stellte er nüchtern fest. »Wir müssen angreifen.«
ROXANE
»Gäbe es denn wirklich nicht die Möglichkeit, uns alle mit Reittieren auszustatten, Thay?«, fragte Groferton mit wehleidigem Unterton, obwohl er selbst gerade im Sattel saß. Roxane, die diese Litanei bereits zur Genüge kannte, seufzte.
»Nicht, solange Sie nicht bereit sind, Ihre Kunst als Attraktion feilzubieten, um unsere schmale Kasse aufzubessern«, murmelte sie verstimmt. Der Maestre schwieg daraufhin, aber die junge Offizierin konnte sehen, dass ihre Antwort nicht eben dazu beitrug, seine Laune zu bessern.
Die Reise nach Norden, auf der sie stets auf der Hut sein mussten, hielt Roxane dankenswerterweise davon ab, allzu viel über die Vergangenheit nachzudenken. Zwar fragte sie sich noch immer von Zeit zu Zeit, ob ihre Entscheidung richtig gewesen war, doch meist gelang es ihr, diese Gedanken mit Macht zu verdrängen. Ihr Ziel war die Ladung des gesunkenen Schiffes, das sagte sie sich immer und immer wieder, und all ihr Streben war darauf gerichtet.
Fast all mein Streben , musste sie zugeben. Sie warf einen Blick zu Jaquento und seiner Echse, die wie stets auf seiner Schulter saß. Mittlerweile verband die junge Offizierin den Anblick des kleinen Tieres untrennbar mit dem Hiscadi.
Selbst in der einfachen Kleidung eines Landarbeiters war seine Haltung gerade, und obwohl man ihm die Anstrengungen
der letzten Zeit ansah, wirkte er keineswegs niedergeschlagen oder besiegt. Im Gegenteil, er schien von einem inneren Feuer beseelt zu sein, das ihn die Entbehrungen weitaus besser ertragen ließ als die anderen Mitglieder der Gruppe. Groferton beschwerte sich nun durchgängig, auch wenn er sich tapferer hielt, als seine ständigen Klagen vermuten ließen. Eine Einschätzung Bihrâds fiel Roxane schwer; der Maureske mit den Fähigkeiten eines Caserdotes war ohnehin schweigsam, und er ertrug alles, ohne zu murren. Lediglich manchmal kommentierte er Grofertons Auslassungen mit unverhohlenem Spott, was das Klima zwischen beiden Männern merklich abkühlte.
Aber Roxane hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Trotz ihrer Eile waren sie zu langsam, wie sie befürchtete. Die Todsünde vergrößerte die Distanz zu ihnen mit jedem Tag und mit jeder Stunde, und wenn es ihnen nicht gelang, diesen Vorsprung zu verringern, würde die Ladung
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