Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
unerreichbar bleiben.
Also trieb sie die Gruppe immer wieder zu größerer Schnelligkeit an, auch wenn sie längst am Limit von Mensch und Tier reisten. Die Erschöpfung der Pferde wuchs zusehends, und Roxane fürchtete sich vor dem Moment, da die Tiere mehr Behinderung als Hilfe sein würden.
Sie fühlte den Blick der kleinen Echse auf sich ruhen und runzelte irritiert die Stirn. Das Wesen hatte die Angewohnheit, immer wieder jemanden zu fixieren, und dieser starre Blick zerrte an Roxanes Nerven. Sie wusste, dass es sich nur um ein Tier handelte; dennoch bereitete ihr die Aufmerksamkeit Unbehagen.
»So sehr ich auch wünsche, dies nicht sagen zu müssen, aber meine Zeit ist um«, erklärte Groferton und schüttelte betrübt den Kopf. Der Maestre saß auf dem kleineren der beiden Pferde, das sie optimistisch Tressot genannt hatten, nach
dem berühmten Caserdote, der einst zu Fuß durch ganz Corbane gewandert war.
Groferton machte bereits Anstalten abzusitzen, doch Bihrâd klopfte dem Pferd auf die Flanke und sagte: »Nein. Ich will noch ein wenig laufen. Bleib sitzen.«
Überrascht sah der Maestre zu ihm hinunter, zuckte dann aber mit den Schultern. »Sicher?«
»Ja.«
»Reiten Sie weiter, Thay«, befahl Roxane und warf dem Mauresken einen dankbaren Blick zu, den dieser jedoch ignorierte. Auch wenn Groferton dazu neigte, seinen eigenen Gesundheitszustand stets überkritisch zu betrachten, war er doch derjenige, der tatsächlich am meisten unter den Strapazen der Reise litt.
Unauffällig lenkte sie ihre Schritte zu Jaquento, der ihr zweites Pferd – Rotando – am Zügel führte. Sie achtete darauf, so leise zu sprechen, dass Groferton sie nicht verstehen konnte. »Ihr Freund ist sehr großzügig. Und das, obwohl Maestre Groferton wirklich nicht immer der einfachste Reisegefährte ist.«
Der junge Hiscadi lächelte und nickte. »Bihrâd nimmt viele Dinge nicht so wichtig. Ob er jetzt noch eine Stunde länger läuft oder reitet, ist ihm vermutlich tatsächlich egal. Und überdies ist er …« Er schien nach Worten zu suchen. »Ein guter Mensch.«
Schweigend marschierten sie weiter. Das Wetter war besser, und am Himmel zogen nur noch einzelne Wolkenbahnen entlang. Der frühe Herbst konnte in Hiscadi wärmer sein als der Sommer in Thaynric, das hatte Roxane bereits festgestellt, und der beständige Wind von der See sorgte dafür, dass es trotz der Sonne angenehm blieb.
Die Küste war hier flacher, aus den hohen Klippen waren niedrige Felsen geworden, an denen sich die Wellen brachen.
Ihre Formationen wurden immer wieder von Stränden mit dunklem Sand unterbrochen.
Ihre kleine Gruppe hatte bereits einige Fischerdörfer passiert, in denen die Menschen noch in einer anderen Zeit zu leben schienen. Jedenfalls war dort von der Aufregung der Rebellion und des Krieges nichts zu spüren gewesen.
Nachdenklich schaute Roxane Jaquento an. Schließlich versuchte sie, in Worte zu fassen, was ihr durch den Kopf ging. »Ich weiß, warum ich die Todsünde jage. Aber mir ist nie ganz klar geworden, warum Sie dasselbe Ziel verfolgen.«
Er erwiderte ihren Blick mit unergründlicher Miene. Dann seufzte er. »Was denkt Ihr, Meséra?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, erwiderte sie, auch wenn sie selbstverständlich Vermutungen hegte. Noch immer wurde sie aus ihm nicht schlau, aber sie wollte verstehen, was ihn antrieb. Schließlich wäre es an Dummheit kaum zu überbieten, wenn ich der Ladung dieses Schiffes einmal quer über den Kontinent folgte, nur um hinterher festzustellen, dass dieser Pirat die ganze Zeit vorhatte, mich auszubooten . Doch tief in ihrem Innersten wusste sie, dass Misstrauen nicht der einzige Grund war, warum sie versuchte, Jaquentos Beweggründe zu verstehen.
»Ihr glaubt, dass ich keine ehrbaren Motive haben kann, weil ich nicht wie Ihr einer Armee angehöre; Ihr denkt, dass ich nur mir selbst und meinen Interessen diene.«
Sie konnte nicht leugnen, dass sein Vorwurf der Wahrheit sehr nahe kam, und sie konnte die Verärgerung darüber in seiner Stimme hören. Mehr noch, sie hatte ihn verletzt.
»Deguay hat meinen Freund getötet und mich verraten. Letzteres könnte ich verzeihen, Ersteres niemals. Ich will verhindern, dass er sein Ziel erreicht. Und ich will auch Rache.«
»Wenn wir Deguay festsetzen können, wird er vor ein thaynrisches Gericht gestellt und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden.«
Jaquento verzog das Gesicht. »Mein Anrecht auf ihn ist älter.«
»Also wollen Sie ihn
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