Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
töten?«
Er nickte. Seine Hand glitt zum Säbel, und er umklammerte den Knauf der Waffe. In seinem Gesicht arbeitete es, als ging ihm der Verrat des Kapitäns noch immer nah. »Er wird eine faire Chance erhalten, so wie er sie Pertiz gegeben hat. Meine Klinge gegen die seine. Das ist Gerechtigkeit.«
Roxane schwieg. Oft genug hatte er ihr gezeigt, dass er skrupellos und gerissen sein konnte. Und doch wollte er offenkundig nicht, dass sie daran zweifelte, dass er dennoch Ehre und Gewissen besaß. Sie ließ ihren Blick über die raue Landschaft wandern, die einst Jaquentos Heimat gewesen sein musste. Im wärmeren Sonnenlicht wirkte das Land freundlicher als bei ihrer Ankunft, heller und weniger abweisend, aber immer noch war die Landschaft herb. »Was hat Sie eigentlich veranlasst, Hiscadi zu verlassen?«, wechselte sie das Thema.
»Es hat mich nichts gehalten«, erwiderte er vage.
»Ist es nicht hart, keine Wurzeln zu haben?«
Sein Lachen war freudlos, und er widersprach ihr nicht.
An Bord der Schiffe seiner Majestät gab es oft Menschen, die auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit waren. Eine Seereise ans andere Ende der Welt war auch wesentlich besser als ein Tanz mit dem Strick. Sie spürte, dass bei Jaquento mehr dahintersteckte als die Flucht vor den Autoritäten seines Landes. Seine Umgangsformen, seine Sprache, all dies sagte ihr sehr deutlich, dass er ein gebildeter Mann war. Doch sie wusste nicht, was ihn soweit gebracht haben mochte, dass er selbst in der Sturmwelt keine Ruhe vor den Dämonen seiner Vergangenheit fand.
JAQUENTO
Auch wenn sie unterwegs einige Berichte von Reisenden gehört hatten, war Jaquento nicht auf den Anblick vorbereitet, der sich ihnen schließlich vor Sargona bot. Die Stadt lag auf einem Hügel, eingerahmt von Feldern und dem prächtigen Panorama der Berge, doch es waren die unzähligen bunten Zelte, die um die Stadt gruppiert waren, die dem jungen Hiscadi den Atem verschlugen.
Er kannte die Stadt; früher hätte er gesagt, wie seine Westentasche. Die Gassen und Straßen, die weiß getünchten Häuser und die Paläste aus ockerfarbenem Sandstein. Er kannte jede Säule, jede Kaschemme, jeden Ballsaal und jedes Bordell.
»Wir sollten diesen Ort umgehen«, schlug er folgerichtig und mit Bestimmtheit vor, während er gleichzeitig das mulmige Gefühl in der Magengrube zu ignorieren suchte. »In der Unordnung verlieren wir zu viel Zeit.«
Mit deutlich erkennbarer Verwunderung blickte Roxane ihn an. Sie saß auf dem Rücken Rotandos, der nur noch erschöpft vor sich hintrottete.
»Wir brauchen Proviant, neue Pferde, und neue Kleidung, wenn das möglich ist«, erklärte die Offizierin. »Wir können es uns nicht erlauben, die Stadt einfach links liegen zu lassen.«
»Sargona ist schon zu besten Zeiten ein übles Loch«, erwiderte
Jaquento mürrisch. »Es wird uns wenig bringen, dort einzukehren. Zudem haben wir ohnehin kein Geld mehr, Meséra, wenn ich Euch daran erinnern darf. In der Stadt bräuchten wir aber einige Solar, um all das zu kaufen, was Ihr für nötig haltet.«
»Nicht ich halte es für nötig, es ist einfach so, dass wir einige Dinge brauchen. Das Tier hier kommt doch keine Meile mehr weiter. Und meine Kleidung ist so schmutzig, dass ich sie am liebsten einfach verbrennen würde.«
Ihre Erwiderung war hitzig, aber Jaquento wusste, dass es die Wahrheit war: Sie mussten sich neu versorgen, oder ihre Jagd neigte sich bereits hier ihrem Ende zu.
»Aber nur eine kurze Rast«, sagte er finster. »Wir besorgen, was wir brauchen, und ziehen weiter.«
»Aye, aye«, murmelte Groferton, der wirkte, als würde er im Gehen schlafen. Der Maestre sah in seinen großen Hosen und dem um seinen dürren Körper geschlungenen Hemd wie eine Karikatur seiner selbst aus.
Wir müssen uns beeilen , ertönte Sinoshs Stimme in Jaquentos Kopf, und der junge Hiscadi nickte. Die Echse hatte die Reise als Einzige ohne große Anstrengung überstanden – verbrachte sie doch die meiste Zeit auf Jaquentos Schulter und stahl sich nur selten davon, um zu jagen.
Obwohl er wusste, dass sie in ihrer kleinen Gruppe alle inzwischen recht fest miteinander verbunden waren, weil sie ahnten, dass sie ihr Ziel nur gemeinsam erreichen konnten, verspürte Jaquento kein Verlangen danach, seinen Gefährten seine Zurückhaltung zu erklären. Es ging sie schlicht nichts an, und er konnte nur hoffen, dass sie diesen Wegabschnitt schnell hinter sich bringen konnten, um über den Pass nach Géronay zu
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