Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Frauen entrollten Segel, schossen Taue auf Belegnägel auf und verstauten Kisten und Fässer.
Roxane schien dieselben Schlüsse zu ziehen, denn sie flüsterte ihm zu: »Vielleicht haben sie einen Handel gemacht.«
»Möglich. Das wäre Deguay durchaus zuzutrauen. Aber was hätte er im Austausch schon anzubieten?«
»Da ist er«, zischte Bihrâd in diesem Augenblick, und tatsächlich sahen sie, wie Rénand Deguay die Todsünde über die Laufplanke verließ. Trotz des sich rasch verdichtenden Nebels war er kaum zu verkennen. Er hielt sich so gerade wie stets, und auf seinem Kopf saß der breitkrempige Hut mit der Feder, der Jaquento nur allzu vertraut war.
Am liebsten wäre der Hiscadi auf den Kapitän zugestürmt, aber der Maureske legte ihm seine Hand mit festem Griff auf die Schulter. »Wenn du das jetzt und hier tust, bist du ein toter Mann«, warnte er mit leiser Stimme, und Jaquento nickte, wenn auch unwillig.
Deguay blieb einen Moment auf dem Pier stehen, dann wandte er sich um und entfernte sich von ihnen.
»Ich folge ihm«, flüsterte Jaquento, »und finde heraus, wo er hin will.«
»Und ich werde mir ein Dingi besorgen und zum Geschwader hinüberrudern«, erklärte Roxane plötzlich. »Wenn der Chronist recht hat, werden sie dort zwar ein bisschen erstaunt über mein Auftauchen sein, aber immerhin bin ich Kapitänin der Marine Ihrer Majestät. Sie werden also auf mich hören müssen. So kann ich die Todsünde aufhalten.«
»Das schaffst du allein nicht«, wisperte Jaquento entsetzt. »Die Géronaee werden dich entdecken, wenn dein Boot den Hafen verlässt, und ich glaube nicht, dass sie sich lange mit Warnungen aufhalten werden.«
»Ich muss es trotzdem versuchen.«
Langsam nickte Jaquento. »Dann machen wir es so. Ich werde Deguay folgen, und du hältst die Todsünde auf.« Er wandte sich den anderen zu. »Bihrâd? Mister Groferton?«
»Wir werden hierbleiben und beobachten, was mit dem Schiff geschieht – und auf dich warten, Jaq«, erklärte der Maureske, und Groferton nickte und ergänzte: »Vielleicht kann ich Sie kurz warnen, falls etwas geschieht. Wenn ich mich entferne, fällt mir die Anwendung der Vigoris wieder leichter.«
Roxane warf Jaquento einen langen, undeutbaren Blick zu, und der junge Hiscadi spürte das verrückte Bedürfnis, sich richtig von ihr zu verabschieden . Also beugte er sich vor und drückte der Offizierin einen Kuss auf die Lippen.
Ohne die Reaktionen der anderen abzuwarten, tauchte er dann in den Nebel ein und begann, dem Umriss Deguays zu folgen, der am Hafen entlanglief.
Er war erst wenige Meter weit gekommen, als Sinosh sich meldete. Jaq, sagte die kleine Echse in seinem Kopf. Da draußen sind welche von meiner Art .
Einen Moment lang war der Hiscadi verwirrt. Dann verstand er, was Sinosh ihm sagen wollte. »Von deiner Art?«, fragte er, so leise es ihm möglich war. »Du meinst – dort draußen sind Drachen?«
Ja, bestätigte die Echse schlicht . Drachen. Aber sie sind viel älter, als ich es bin. Größer und mächtiger auch.
»Was tun sie hier?«
Sie sind wegen der Ladung hergekommen. Das, was auf dem Schiff ist, hat eine große Bedeutung für uns. Jeder Drache kann es spüren, kann die furchtbare Macht fühlen, die davon ausgeht. Deshalb sind sie hier.
»Drachen. Ich hoffe, sie setzen die Flotte der Thayns nicht in Brand.«
Sie haben keinen Krieg mit deinesgleichen, erwiderte Sinosh. Sie sind nur wegen der Ladung hier.
»Willst du zu ihnen gehen?«
Sinosh schien zu zögern. Dann hob er den Kopf und sah Jaquento mit seinen schillernden Augen an. Der Körper der Echse war nun komplett golden, wie der Hiscadi es noch nie an ihr gesehen hatte.
Ja, das will ich. Du suchst einen anderen Kampf als ich.
»Dann geh«, sagte der Hiscadi, obwohl er keine Ahnung hatte, wie Sinosh zu den übrigen Drachen gelangen sollte.
Du bist ein guter Freund, sagte die Echse. Wenn die Ladung zerstört ist, finde ich dich vielleicht wieder.
»Pass auf dich auf, Großer«, sagte Jaquento und setzte Sinosh vorsichtig auf dem Boden ab.
Einen Augenblick später war der Drache bereits verschwunden.
SINAO
»Hörst du das?«, fragte Manoel flüsternd, und Sinao sah die Anspannung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.
»Nein.«
»Keine Vögel. Und auch keine Tiere. Alles ist still.«
Jetzt bemerkte sie es auch. Das morgendliche Konzert der Tiere des Dschungels war verstummt, und sie konnte nicht sagen, wie lange schon. Dieser Ort war viel zu still. Sinao fröstelte im
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