Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
erbost, und sein Antlitz wurde noch dunkler, als es von Natur aus schon war. Einige seiner Kumpane versuchten ihn zu beschwichtigen, aber er starrte Franigo nur wutentbrannt an. Seufzend schüttelte der Poet den Kopf und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch zu. Ein solch dünnes Werk ließe sich sicherlich in wenigen Wochen, wenn nicht gar Tagen anfertigen. Damit könnte ich …
Weiter kam er nicht, denn über ihm erhob sich plötzlich eine dunkle Gestalt, die ihm frech mit dem Finger auf die Schulter tippte.
»Ich rede mit dir, Bursche.«
»Tut Ihr das?«, entgegnete Franigo, ohne aufzublicken. »Aber ich nicht mit Euch, Mesér. Achtet nun bitte meinen Wunsch nach Ruhe. Und lernt Manieren.«
»Ich rede mit dir«, donnerte der Schnitter und hieb mit der Faust auf den Tisch. Noch einmal seufzte der Poet, dann stand er auf.
»Entweder Ihr entschuldigt Euch schleunigst für Euer ungebührliches und, man muss es wohl so sagen, unmögliches Verhalten, oder Ihr werdet die Konsequenzen tragen.«
»Und? Was soll das sein?« Die Miene des Mannes zeigte, dass er sich keine großen Sorgen um die möglichen Folgen seiner Worte machte. Er war zwar kaum größer als Franigo, dafür aber beinahe doppelt so breit. Die harte Arbeit auf den Feldern hatte ihm Arme beschert, deren Muskeln sich unter seinem rauen Hemd wölbten wie Melonen. Sein Nacken war so breit, dass Franigo ihn vermutlich nicht einmal mit beiden Händen hätte umfangen können.
»Entschuldigt Ihr Euch, Mesér?«
»Nein!«
»Dann müssen wir uns wohl schlagen«, erwiderte Franigo und legte die Hand auf den Griff seines Degens. Jetzt endlich zeigte der Schnitter eine Reaktion, allerdings keine, die Franigo sich gewünscht hätte: Er lachte.
»Schläge gibt es gleich, keine Sorge«, zischte er und ballte die Fäuste. Unvermittelt empfand Franigo sich als unterbewaffnet, obwohl er derjenige mit der tödlichen Klinge war.
»Hört mal, dies ist eine Frage der Ehre. Mein Name ist Franigo …«
»Geschenkt«, brüllte sein Gegenüber und benetzte dabei Franigos Gesicht mit Speichel. »Jetzt setzt’s was!«
Bevor Franigo reagieren konnte, fühlte er sich am Kragen gepackt und emporgehoben. Er haderte mit sich selbst, ob er seinen Degen ziehen sollte. Sein Gegner war kein Mann von Stand, geschweige denn von Ehre, und eigentlich verbot sich der Einsatz einer edlen Waffe gegen einen solchen Kretin von selbst. Andererseits verspürte Franigo wenig Lust, sich einen
Faustkampf mit dem Tobenden zu liefern. Ihm waren seine eigenen Unzulänglichkeiten auf diesem Gebiet nur allzu gut bekannt.
Bislang hatte er den Umstand, kein Boxer zu sein, nicht bedauert, da physische Anstrengung dieser Art – der meisten Arten, wie er jetzt erkannte – weder seinem Geschmack noch seinem Naturell noch seiner angestrebten Lebensweise entsprachen. Aber das Leben ließ ihm im Augenblick wohl keine andere Wahl.
»Was geht hier vor?«
Wenn Aitea brüllte, schwiegen andere Menschen. Die Natur hatte sie mit einem Organ ausgestattet, das sich auch vortrefflich dazu geeignet hätte, in einer Schlacht über das Donnern der Kanonen hinweg für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
»Hört sofort mit dem Unfug auf, oder ihr bleibt heute alle ebenso nüchtern wie die Schweine draußen.«
»Lass gut sein, Serge«, rief einer der Schnitter vom Ecktisch. Ganz langsam wurde Franigo hinabgelassen und stand bald wieder auf eigenen Füßen. Seinem Gegenüber fiel es sichtlich schwer, seine Gefühle zu kontrollieren, aber beim Anblick der pulsierenden Adern an seinem Hals war Franigo froh, dass es ihm gelang.
»Vielleicht singe ich heute Abend ein wenig, wenn ihr so lange als Gäste bleibt«, erklärte er versöhnlich. »Dann sind auch mehr Zuhörer da, und es wäre doch schade, wenn ich mich bereits jetzt verausgaben würde.«
Zur Antwort nickte Serge nur, wandte sich ab und schritt zu seinen Kumpanen zurück. Ihre Stimmung ist wahrlich nicht die beste , erkannte Franigo. Ein ganz schön reizbares Völkchen .
JAQUENTO
Ein Geräusch weckte Jaquento aus einem unruhigen, wenig erholsamen Schlaf. Zunächst glaubte er, eine Möwe hätte geschrien, doch dann war er nicht sicher, ob es nicht nur das Knarren des Schiffes gewesen war. Erschöpft rieb er sich die Augen, die sich nicht an das Zwielicht seiner momentanen Heimat gewöhnen wollten. Nicht einmal die vertrauten Geräusche des Meeres und das sanfte Wogen der Wellen konnten ihm Ruhe verschaffen. Sein Geist war gefangen, seine Gedanken wanderten im
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