Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Franigo, aber lass mich jetzt hier weitermachen. Es ist noch so viel zu tun, und ich habe keine Zeit, mit dir über Bücher zu reden.«
»Ich will ja auch nicht darüber reden«, protestierte der Poet, bemerkte dann aber, dass er sich widersprach. »Nun, jedenfalls nicht über dieses Buch. Wie auch immer. Ich dachte, meine Entdeckung wäre mitteilenswert.«
Mit kaum verhohlener Verachtung blickte er auf das Buch in seiner Hand hinab. Der Gedanke an all das verschwendete Papier, auf das man kulturell höher stehende Arbeiten hätte drucken können, ließ ihn nur noch mehr Zorn empfinden.
»Die Abenteuer des tapferen Soldaten Saavreda«, las er leise vor. »Erzählt von … Moment mal: Sechste Auflage?«
Überrascht blickte er auf. Sechs Auflagen, und er konnte nicht einmal sicher sein, ob dies hier bereits die letzte war. Der Band war doch schon recht zerfleddert, und der letzte Tag war dank Franigos Zorn nicht gerade zimperlich mit ihm verfahren. Es war gut möglich, dass noch mehr Auflagen existierten. Es musste sich um Hunderte, wenn nicht gar Tausende oder mehr Exemplare des Buches handeln, die bereits im Umlauf waren. Vielleicht sogar noch viel mehr. Interessant .
In seinem Geist kämpfte die Abscheu einen kurzen, aber heftigen Kampf mit der Mathematik – und verlor. Zahlen erschienen vor seinem inneren Auge. Wenn jedes Buch einen Lunar kostet, nein, eher zwei, würde ich sagen – dann hätte man zehn- oder gar zwanzigtausend Lunar damit verdienen können. Also an die tausend Solar. Mit einem Buch !
Als mehrere Gestalten in den Schankraum polterten, wurde er unsanft aus seinen Überlegungen gerissen. Zunächst
befürchtete er, dass es Soldaten waren oder gar gedungene Häscher, die ihn nun endlich aufgestöbert hatten. Doch die Neuankömmlinge entpuppten sich als die üblichen Gäste der Schänke, einfache Arbeiter, deren Kleidung so ärmlich war, dass Franigo sie wohl in einem seiner Stücke als Lumpen bezeichnet hätte. Jetzt fielen ihm auch die langen Sensen und die abgenutzten Sicheln ins Auge, die die Neuankömmlinge mit sich führten. Wanderarbeiter , erkannte Franigo. Schnitter und sonstige Tagelöhner .
»Wir wollen Wein«, rief der vorderste der Gesellen, ein vierschrötiger Mann mit einer roten, einfachen Mütze, dessen Gesicht von der Sonne gezeichnet war. Seine Haut wirkte wie gegerbtes Leder und war fast schon so dunkelbraun wie die Balken, die das Dach des Gasthauses trugen.
»Habt ihr Geld?«, fragte Aitea. Sie hatte sich aufgerichtet und beäugte ihre neuen Gäste misstrauisch. »Wenn ja, gibt es Wein.«
»Genug für die Plörre, die du uns verkaufst.«
Überraschenderweise schien das die Wirtin zu überzeugen, jedenfalls lief sie in die Küche und ließ Franigo allein mit seinem Buch und den Schnittern zurück. Einerseits zog es den Poeten nicht gerade zu diesen Leuten hin, andererseits spürte er Neugier in sich aufsteigen. Dem Volk auf den Mund zu schauen war beinahe schon eine Leidenschaft seinerseits. Immer wieder wurden so die besten Ideen für seine Stücke an ihn herangetragen, ohne dass er mehr tun musste, als die Augen und vor allem die Ohren offenzuhalten.
Also setzte er sich an den noch nassen Tisch und warf unverhohlene Blicke zu der Gruppe hinüber, die sich laut lärmend in einer Ecke der Wirtschaft niedergelassen hatte. Ihre Werkzeuge lehnten an der Wand oder lagen auf dem Tisch, ihre Ärmel waren hochgekrempelt, und die meisten nahmen sogar ihre unförmigen Mützen ab. Es war eine Szene, wie sie
einige der naturalistischer veranlagten Hofmaler hätten aufzeichnen mögen. Ohne den Schmutz und die anzüglichen Gebärden natürlich , dachte Franigo sarkastisch. Die hohen Herrschaften möchten an ihren Wänden gutes, ehrliches Landvolk, Männer und Frauen mit simplem Gemüt, voller Demut und Dankbarkeit für ihre guten Herren .
»He, du«, rief der Anführer überraschend und winkte Franigo zu. »Bist du der Sänger?«
»Sänger? Wohl kaum, Mesér«, erwiderte der Poet indigniert. »Ich bin Dramatiker und Lyriker.«
»Man sagte uns, dass hier’n Sänger wär’, der schöne Lieder über die fetten Leute in der Stadt mit ihren Perücken singt.«
»Nun, ich habe das eine oder andere Lied erdacht, und meine Sangesstimme soll nicht die schlechteste sein, wenn ich dem Urteil einiger Kritiker Glauben schenken darf. Aber mir steht nicht der Sinn nach Gesang, und zudem ist es noch zu früh dafür.«
»Wir sind dir wohl nich’ gut genug, was?« Die Stimme des Mannes klang
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