Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Sean als auch Jaquento waren nicht gerade die besten Diplomaten, und auch wenn sie sich selbst ebenfalls nicht für allzu geeignet für diese Rolle hielt, gab sie sich doch Mühe, als thaynrische Offizierin gegenüber den Menschen anderer Länder ihre Heimat würdig zu vertreten. Und gegenüber den Drachen anderer Länder.
Wie viel Zeit verstrich, ohne dass das Wesen in der Wand reagierte, konnte sie nicht sagen. Schon legte sie sich Worte zurecht, wollte sich für die forsche Art der anderen entschuldigen, versuchen, das Wesen zu besänftigen, da erdröhnte die Antwort in ihrem Geist.
Ihr alle stammt aus verschiedenen Ländern. Ich sollte euch mehr erzählen, damit ihr euren Völkern davon berichten könnt. Vielleicht sind wir zu lange für uns geblieben.
Roxane warf Jaquento einen verstohlenen Blick zu und sah ihre eigene Erleichterung in seiner Miene gespiegelt. Geschichten konnten nur von Lebenden erzählt werden.
Mein Eigentum, nennen wir es den Fokus , denn in euren Zungen gibt es keine passendere Entsprechung für seinen Namen, wurde einst von mir geschaffen. Mein Volk hat eine lange Entwicklung durchgemacht und Dinge erfahren und erlebt, die weit über den Horizont eurer Geschichtsschreibung hinausgehen. Wir haben vieles erschaffen und vieles zerstört, und es beschämt mich nicht, zu sagen, dass auch wir Fehler begangen haben. Der Fokus war mein Versuch, denen, die nach uns geboren wurden, und so auch euch, diese Fehler zu ersparen.
»Ich verstehe nicht recht …«, gestand Jaquento, und auch Roxane sah den Drachen fragend an.
Wir waren niemals viele, aber wir leben eine lange Zeit. Länger, als ihr es euch vorstellen könnt. Und während wir älter werden, sammeln wir Macht. Je älter eine jede von uns wurde, desto mächtiger wurde sie. Es gab Zwistigkeiten und Streit, und aus diesem Streit wurden Kriege. Wir brachten viel Leid über uns selbst, bis ich diesen Zustand beendete.
Seitdem gibt es keinen Streit mehr unter uns und damit auch keine Kriege. Viel Zeit ist vergangen, und ich habe den Aufstieg eurer Völker beobachtet, und ich sah die Samen dessen, was einst beinahe unser Verderben geworden wäre. Euer Wissen um das, was ihr Arsanum nennt, wurde größer, und mit diesem Wissen
kam mehr Macht zu euch. Ihr habt Kriege gegeneinander geführt, wie auch wir es taten, und das Leid war groß. Aber noch waren es Wunden, die zu heilen waren.
Doch ich habe gesehen, dass dies nicht so bleiben würde. Tiefer und tiefer drangt ihr in die Geheimnisse des Arsanums ein, und ich wusste, eines Tages würdet ihr Erkenntnisse erlangen, welche die Macht eurer Maestre immer weiterwachsen lassen würden, bis diese Macht scheinbar keine Grenzen mehr kennen würde.
Und dann würden eure Kriege alles vernichten.
Roxane versuchte zu erfassen, was das bedeutete, was die gewaltige Kreatur ihnen gerade erzählt hatte. Das Forezzische Imperium war lange untergegangen, und auch wenn man sie gelehrt hatte, dass die Nutzung der Vigoris dort gewaltig gewesen sei, konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Magie jemals die gesamte Welt bedrohen würde.
Ich habe es gesehen. Es war nur eine Frage der Zeit. Und so verwendete ich mein Wissen, um diese Entwicklung zu verhindern. Ursprünglich war es mein Wille, dass der Fokus nur meine Kinder betreffen sollte, damit sie den schlimmsten Auswüchsen vorzubeugen wüssten. Doch was ich schuf, war stärker, als ich selbst gedacht hätte, und so breitete sich sein Einfluss über alle Länder aus.
»Was? Wovon sprecht Ihr?«, warf Jaquento mit einem verwirrten Blick ein. Roxane hingegen verstand. Und Bihrâd offenbar ebenso, denn er sagte ruhig: »Corban. Die Grenzen der Vigoris. Der erste Magietrinker. Der Fluch. Mein Fluch.«
So ist es.
»Das kann … es kann nicht sein, oder?«, stammelte Sean.
Roxanes Knie wurden weich. Der Prophet, der Verkünder der Einheit, der Gründer des Glaubens … All das, was Corban war, gehörte lediglich zum Plan eines Drachen?
Sie sah die Erkenntnis in den Gesichtern der anderen. Sean und Jaquento waren bleich, aber Bihrâds Antlitz zeigte tiefe Erleichterung.
Die Wände des gewaltigen Raumes erbebten. Der Kopf des Drachen zuckte empor. Roxane nahm es kaum wahr, so sehr war sie damit beschäftigt, ihre Gedanken zu ordnen.
Goldgerüstete stürmten in den Saal, und Shan fuhr hastig zu ihnen herum. Sie waren aufgeregt und riefen laut, aber Roxane konnte kein Wort verstehen.
»Sie sagen etwas über einen Angriff«, murmelte Sean. »Einen Angriff
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