Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Schultern um und gab ihr einen leichten Schubs. »Kümmer du dich um die Prinzessinnen, Prinzessin.«
Anki taumelte durch die unendlich erscheinenden Flure zurück in den Haupttrakt des Palais. Wieder flatterten ihre Gedanken wie aufgeschreckte Vögel zu dem Arzt, den sie nun noch viel dringlicher herbeiwünschte, als sie dies ohnehin jeden Tag und jede Nacht tat. Schmerz und Verlust wühlten ihr Innerstes auf. Die Selbstvorwürfe, weil sie die Familie Busch im letzten Jahr nicht ins deutsche Kaiserreich begleitet hatte, stritten sich erneut mit ihrer Vernunft, die ihr sagte, dass es richtig gewesen war, dass sie bei den Chabenski-Kindern und der leidenden Ljudmila geblieben war. Doch der Preis, den sie für dieses rationale Denken bezahlte, war hoch. Seit Monaten war sie von Robert getrennt. Sie wusste nicht, ob die Buschs die Heimat erreicht hatten, wo sie lebten und ob Robert seine Prüfungen bestanden hatte. Eine leise, aber bohrende Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr immerfort zu, dass ein junger Arzt ohne Praxis vermutlich unter den Ersten war, die man an die Front schickte. Anki versuchte die Furcht einflößenden Einflüsterungen zu ignorieren, war dabei aber nicht sehr erfolgreich.
Anki hatte Nina, Jelena und Katja in den Speisesaal geschickt, wo das Personal sie verwöhnte. Sie überbrückten die Wartezeit, indem sie die vom Hauslehrer aufgegebenen Schulaufgaben überwachte, mit den Kindern spielte und mit ihnen Klavier übte. Die Mädchen waren guter Laune gewesen, freuten sie sich doch auf ihr Geschwisterchen, bis die aufgelöste Großmutter in den Saal geplatzt war und mit bebender Stimme jemanden suchte, der einen Arzt informierte.
Wieder im Haupttrakt angelangt griff Anki nach der hoch angebrachten Türklinke und öffnete die Tür zum Speiseraum. Zu ihrer Überraschung schallte ihr Raisas aufgeregte Stimme entgegen. »Die Kinderköpfe können da unten alles kaputtreißen und stecken bleiben und bringen deshalb viele Frauen um. Bei meiner Mama war das so, als sie ein zweites Kind gebären sollte. Ich kann euch sagen: Überall war Blut. Das ganze Bett war …«
»Genug!«, fuhr Anki aufgebracht dazwischen. Ein weiteres Mal ärgerte sie sich über die Unbedachtheit der jungen Dame.
»Die schon wieder!«, lautete prompt Raisas frecher Kommentar, wobei sie Anki demonstrativ den Rücken zudrehte.
Katja hingegen stürmte auf ihr Kindermädchen zu. Große Tränen kullerten aus ihren blauen Augen über die runden Wangen. In ihrer Furcht hatte sie eines ihrer weißen Haarbänder aufgezogen. Der geflochtene Zopf löste sich auf und versteckte die Hälfte ihres Gesichts hinter einer Flut blonder Locken, als sie sich Schutz suchend in Ankis Arme warf. »Was ist mit Mama? Was ist mit Mama?«, schluchzte sie.
Das Knarren eines Dielenbretts ließ Anki aufsehen. Jelena trat zu ihnen. Auch ihre dunklen Kirschaugen waren vor Sorge und Schreck aufgerissen, doch an der gefurchten Kinderstirn erkannte Anki auch den in ihr glimmenden Unmut. Jelena gesellte sich zu Anki und streichelte ihrer Schwester tröstend über den Rücken.
»Raisa übertreibt nur, wie immer!«, flüsterte sie Katja zu, die sich noch fester in Ankis Arme schmiegte. An das Kindermädchen gewandt sagte Jelena auf Deutsch: »Ich wollte sie unterbrechen, aber sie ignoriert mich. Wie immer!«
Anki legte ihre Hand an Jelenas weiche Wange, um auch ihr Trost zu spenden. Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, Raisa fortzuschicken, doch dazu sah sie sich angesichts ihrer Stellung nicht in der Lage. Allein, dass sie ihr vorhin so schroff über den Mund gefahren war, konnte ihr Ärger einbringen, zumal Raisas Vater ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen war.
Allmählich beruhigte sich Katja, sodass sich Anki erhob und die beiden Kinder zurück an den Tisch führte. »Es ist nicht sehr hilfreich, Hochwohlgeboren, den Prinzessinnen Angst um ihre Mutter zu machen«, sagte sie zu Raisa.
Raisa lachte auf und bedachte sie dabei mit einem vernichtend hochmütigen Blick. »Es macht aber Spaß! Diese Kleinkinder sind wirklich leicht zu ängstigen. Offenbar lebt man im Hause Chabenski hinter dem Mond, was Aufklärung und das reale Leben anbelangt!«
Schnell versteckte Anki ihre geballten Fäuste in den Falten ihres Rocks. »Ich bat Sie bereits einmal darum, Baroness Raisa Wladimirowna, Ihr unschätzbares Wissen lieber mit Gleichaltrigen zu teilen und in Anwesenheit der Chabenski-Töchter für sich zu behalten.«
Raisa sprang auf und baute sich vor
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