Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Gemurmel und den Schmerzenslauten der Umliegenden beinahe verloren. »Es gibt noch immer Menschlichkeit in diesem Inferno, Dr. Busch. Vergessen … Sie das nicht.«
»Das werde ich nicht.«
Chabenski hob erneut die beiden Finger, bat ihn mit dieser winzigen Bewegung zu schweigen, damit er Gehör fand. »Es wird Zeiten geben … in denen Sie das vergessen … So ist die menschliche … Natur. Der Krieg bringt viele hässliche Seiten … in einem Menschen zum … Vorschein. Halten Sie an Gott fest. Nur er … kann Ihr Herz und Ihre Seele beschützen …« Chabenskis Stimme brach und diesmal schloss er vor Erschöpfung und Schmerz die Augen.
Robert spürte etwas in seinem Inneren anklingen, das er fast schon verloren geglaubt hatte, obwohl er sich erst seit wenigen Wochen an der Front befand: Liebe. Liebe zu seinen Patienten, zu seinem Feind. Dieser ihm eigentlich fremde Mann, der sich um sein Wohlergehen sorgte, erteilte ihm eine wichtige Lektion, obwohl sein Leben wahrscheinlich in ein paar Stunden enden würde. Chabenski sprach von der Liebe Gottes an einem Ort, an dem sich Hass in seiner schrecklichsten Form entlud. Aber genau dieser Gott hatte versprochen, auch inmitten des Chaos nicht von seiner Seite zu weichen. Zwar ließ er Schmerz, Trauer und Tod zu, aber er hatte versprochen, dabei an seiner Seite zu sein.
Robert legte seine Hand auf die des Obersts und drückte die beiden nicht verbundenen Finger, ehe er sich wieder seinen anderen Aufgaben zuwandte.
Obwohl die Schmerzensschreie und der penetrante Gestank an seinen Nerven zerrten wie ein Hund an dem Hosenbein eines unerwünschten Eindringlings, war er wieder mit mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge für den Einzelnen bei seiner Aufgabe – wohl wissend, dass er nie schnell genug arbeiten konnte.
***
Fünf Stunden später wurde Robert endlich abgelöst. Er überließ den Operationstisch einem älteren Herrn mit Glatze und runder Brille und begab sich in das notdürftig eingerichtete Badezimmer, um sich das Blut von Händen, Armen und aus dem Gesicht zu waschen. Bevor er zu seiner Unterkunft im ersten Stock hinaufwechselte, wollte er kurz nach Chabenski sehen.
Mit langsamen, erschöpften Schritten betrat er das Lazarettzelt und ging über die am Boden ausgelegten Holzplanken die lange Reihe dicht an dicht stehender Notbetten ab, bis er bei den Gefangenen ankam, für die man hier Platz geschaffen hatte.
Auf der Pritsche, auf der Chabenski gelegen hatte, kauerte ein junger Mann mit verbundenen Augen. Alarmiert huschte Roberts Blick über die restlichen verletzten Russen hinweg, doch er fand den Oberst nicht unter ihnen.
»Schwester!?«, rief er in den vorderen Bereich und ausgerechnet Rosalie gesellte sich an seine Seite. Sie sah ebenso abgekämpft aus wie Robert oder die am Lazarett vorbei zu ihren Ruhestellungen schlurfenden Soldaten.
»Sie suchen den russischen Oberst? Der wurde weggebracht.«
»Weggebracht? In seinem Zustand?«
»Nein, wegen seines Zustands«, lautete ihre schroffe Antwort, ehe sie davoneilte.
Wieder einmal hatte der Tod die Ernte eingeholt, die die Menschen gesät hatten. Robert fasste an seine Brusttasche, in der sich Chabenskis Brief befand. Nun war es an ihm, den letzten Willen des Mannes zu erfüllen. An die Trauer und das Entsetzen, das über die Familie hereinbrechen würde, wagte er nicht zu denken. Sie waren eine der unzählbar vielen Familien, denen dieser Krieg Ehemann und Vater raubte, völlig unabhängig davon, ob sie einfache Bauern oder Aristokraten waren. Selbst bei dem Gedanken daran, dass den drei Töchtern zumindest die Mutter und ein liebevolles Kindermädchen blieb, wollte sich keine Erleichterung einstellen.
Kapitel 33
Vrizy, Département Ardennes, Frankreich, April 1915
Rumpelnd setzten die Räder von Philippes Flugzeug auf dem Boden auf und holperten über die Wiese, bis sie vor einer Anzahl Zelte und zwei Reihen Albatros-Flugzeugen zum Stehen kamen. Das Motorengeräusch erstarb und der Pilot riss sich die Brille und die Ledermütze vom Kopf, ehe er sich aus seinem unbequemen Sitz stemmte. Dabei sah er, wie die drei Maschinen, die ihn zuerst angegriffen, dann aber eskortiert hatten, neben ihm landeten.
Seine Wut über ihren M G -Gebrauch war verraucht. Da er wertvolle Zeit mit der Jagd auf Roth vertändelt und später als geplant seine Rückkehr angetreten hatte, war er selbst schuld. Sein Glück, dass ihm der Kommandeur dieser kleinen Fliegereinheit die notdürftige Beflaggung abgekauft hatte.
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