Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Anki auf. Die Achtzehnjährige war inzwischen ebenso groß wie die Njanja. »Du hast dir doch schon Ärger wegen deines ungebührlichen Verhaltens mir gegenüber mit meinem Vater eingehandelt. Legst du es auf weitere Rügen an?«
Anki verschluckte die Entgegnung, dass sie mit einer Rüge leben könnte. Allerdings war das Auftreten von Raisas Vater bedrohlich. Oberst Chabenski hatte sie erst im vergangenen Jahr vor dem Grafen beschützen müssen.
»Lass Anki van Campen in Ruhe!«, herrschte Jelena die Freundin ihrer Schwester an und stemmte aufgebracht die Hände in ihre Hüften.
»Was hast du denn zu sagen, du kleiner Giftzwerg? Dich hat diese Njanja mit ihrem dummen Gerede über Liebe und Gleichheit doch völlig eingewickelt. Womöglich ist sie eine von diesen roten Revolutionären, die uns Aristokraten die Köpfe abhacken wollen, wie sie es im achtzehnten Jahrhundert in Frankreich getan haben!«
Katja brach erneut in Tränen aus, während Anki Jelena am Arm ergriff und zurück auf ihren Stuhl drückte. In diesem Moment erinnerte das russische Mädchen sie auffallend an ihre jüngere Halbschwester Demy: Ein Herz, das keine Ungerechtigkeit ertrug und deshalb das Kind zu einer Kämpferin formte.
Anki warf Nina einen fragenden Blick zu. Wie lange wollte die Älteste der Schwestern noch tatenlos mit anhören, wie Raisa ihre Geschwister drangsalierte? Nina wich ihrem Blick aus, schlug ihrer Freundin aber vor, dass sie auf ihr Zimmer gehen könnten. »Immerhin macht uns beiden das Stöhnen von Mama nichts aus. Wir brauchen davor nicht beschützt zu werden«, gab sie sich erwachsen.
Anki ließ sie ziehen, weniger beunruhigt, dass die 13-Jährige nun die Schmerzen der Mutter mit anhören musste – sie war tatsächlich alt genug, um damit zurechtzukommen –, als darüber, welche ketzerischen Gedanken Raisa nun wieder in das Herz der sie so bewundernden Nina säen würde.
»Wird Mama sterben, Fräulein Anki?«, fragte Katja leise und wischte sich mit den Fäusten die Tränen aus dem Gesicht, obwohl Marfa ihr ein besticktes, mit Spitze umrandetes Tuch reichte. Dieses nutzte das Mädchen nur dazu, es nervös zu zerknüllen.
Nach einigem Zögern und einem fragenden Blick zur Zofe, die zuerst mit den Schultern zuckte, anschließend aber nickte, versuchte Anki den Mädchen zu erklären, was bei einer Geburt geschah und welche Risiken sie barg. Daraufhin forderte sie Jelena und Katja auf, für ihre Mutter und das Geschwisterchen um Gottes Beistand und Schutz zu beten. Die beiden taten das mit zuerst stockenden Worten und beruhigten sich dabei zusehends.
Kurze Zeit später traf der Arzt ein und hastete durch das Foyer und die Stufen zur Galerie hinauf, um gleich darauf das Schlafgemach der Fürstin zu betreten. Einen Moment lang gellte ein lang gezogener Schrei durch das Haus, bis das Schließen der schweren Tür und die erneut angestimmten Lieder im Speisesaal ihn überdeckten.
***
Die Stunden vergingen zum einen quälend langsam, da Anki den Augenblick der Geburt herbeisehnte, zugleich aber auch viel zu schnell, denn zu dieser vorgerückten Stunde sollten Katja und Jelena längst im Bett liegen. Aber die Prinzessinnen waren viel zu aufgeregt, zudem lag Katjas Schlafzimmer genau neben dem der Fürstin. Mochte das Haus noch so stabil gebaut und die Türen massiv sein, drang die Unruhe im Zimmer der Gebärenden unweigerlich in das Kinderzimmer nebenan. Schließlich besprach sich Anki mit Marfa und dem nervös auf und ab gehenden Jakow. Die drei beschlossen, dass sie die Mädchen nicht in eines der Gästezimmer verlegen wollten, sondern dass sie vor dem sanft flackernden Kaminfeuer im Speisesaal schlafen durften.
Jakow und Nadezhda schafften das Bettzeug und die Matratzen ins Erdgeschoss, und wenig später kuschelten sich die aufgeregten Mädchen vor dem gewaltigen Steinkamin in ihre Decken. Anki bat die Zofe, den beiden vorzulesen. Sie begab sich mit schweren Schritten auf den Weg in den oberen Stock, um nach Nina und Raisa zu sehen. Wie gewohnt klopfte sie an und öffnete dann die Tür, was ihr eine harsche Reaktion der Baroness einbrachte: »Kannst du nicht warten, bis man dich hereinbittet? Ihr Deutschen habt wirklich gar keine Manieren!«
Anki ignorierte die junge Frau, die auf dem Samtsofa bei der Frisierkommode saß. Um sie herum lagen unzählige Kleidungsstücke aus Ninas kostbarer Garderobe auf dem Parkettboden verstreut.
»Nina, deine Schwestern dürfen heute im Speisesaal vor dem Kamin schlafen. Falls du
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