Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Österreich-Ungarn hat Russland den Krieg erklärt und die Briten sind auf dem Weg hierher nach Frankreich, um uns und Belgien zu unterstützen. Das Deutsche Kaiserreich wirft Frankreich vor, Militärflieger über deutsches und belgisches Gebiet geschickt zu haben. Dein Fliegerkommandant ruft alle Piloten zusammen. Du musst sofort abreisen!«
Sowohl Philippes als auch Claudes Blick wanderten von dem aufgeregten Burschen zu Demy. Die unheilvolle Lage, in der sie sich befand, spitzte sich stündlich zu. Sie straffte die Schultern und zog die Haarkämme aus ihrer Frisur. Ihre schwarzen Locken wallten über ihren Rücken und der Wind wirbelte ein paar der Strähnen durcheinander. Energisch flocht sie sie zu einem Zopf, stülpte sich die Lederkappe über, verschloss sie unter dem Kinn und setzte sich anschließend etwas linkisch die Schutzbrille auf. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Claude und Philippe sich kurz, aber herzlich umarmten.
»Ich bringe sie dir wieder, Claude. Spätestens nach dem Krieg«, rief Philippe seinem Freund zu, als er bereits hinter die Rumpfverkleidung kletterte.
Der Franzose eilte zu Demy und half ihr, sich auf einem zweiten Sitz hinter dem Piloten niederzulassen. Dabei sagte er an seinen Freund gewandt: »Falls du mit deiner düsteren Prognose recht behältst und der Krieg länger als ein paar Monate dauert, wird die Madame vollkommen veraltet sein. Wirst du in einer Einheit fliegen?« Erleichtert registrierte Demy, dass die beiden von dem Flugzeug sprachen.
Philippe lachte trocken auf und erwiderte, während Claude vorn neben den Propeller trat und seine Hand auf einen Propellerflügel legte: »Das deutsche Kriegsministerium setzt noch immer auf Zeppeline!«
»So ein fortschrittliches Land und so rückwärtsgewandte Ansichten in manchen Fällen«, spottete Claude. Er zwinkerte zum Zeichen, dass er Philippes Zurückhaltung akzeptierte, sich über die militärische Flugentwicklung im Deutschen Reich in Schweigen zu hüllen. Er rief dem Piloten einen scharf klingenden Befehl zu, gab dem Propeller gleichzeitig einen kräftigen Anstoß und sprang dann mit einem Satz zur Seite. Die Propellerflügel bewegten sich, während ein knatterndes Motorengeräusch einsetze, stockten kurz, als überlegten sie, ob sie ihre Arbeit tatsächlich verrichten sollten, und drehten sich schließlich zunehmend rascher im Kreis.
Claude lächelte die ängstlich dreinblickende Demy aufmunternd an und schrie ihr gegen den Motorenlärm zu: »Ich hoffe, Sie eines Tages wiederzusehen, Mademoiselle van Campen!«
Mehr als ein Nicken brachte Demy nicht zustande. Sie presste ihre Handflächen aneinander und schickte ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel. Ihr Pilot senkte für einen Moment den Kopf. Hatte er etwas an dem Flugzeug einzustellen oder betete auch er für einen guten Flug? Demy wusste nicht, ob sie dieser Gedanke beruhigen oder noch mehr aufregen sollte. Schließlich richtete Philippe sich auf und sein breiter Rücken raubte ihr die Sicht nach vorn.
»Wir sehen uns wieder!«, rief er seinem Freund zu und grüßte, indem er lässig mit dem Zeigefinger an seine Kappe tippte.
Das Fluggerät vollführte einen bockigen Sprung vorwärts. Demy konnte nur mühsam einen erschrockenen Ausruf unterdrücken. Das Ruckeln nahm an Intensität zu, als sie mit diesen eigentümlich nach außen abgewinkelten Holzrädern über das Wiesenstück rollten.
Claudes Bruder lief neben ihnen her und winkte mit dem Papier in seiner Hand. Dabei stieß er anfeuernde Rufe aus, als ob er damit das Flugzeug dazu bewegen könne, schneller abzuheben. Demy teilte diesen Wunsch nicht, sie wollte viel lieber am Boden bleiben!
Das Gefährt nahm Geschwindigkeit auf und raste auf ein Waldstück zu, das in einigen Hundert Metern Entfernung wie ein schwarzes Ungetüm lauernd auf Beute in Form eines Flugzeuges zu warten schien. Entsetzt schloss Demy die Augen und versuchte alles um sich herum aus ihren Gedanken auszublenden. Schweiß rann ihr über die Stirn und ihr Körper bebte vor Furcht.
Plötzlich endete das unsanfte Stoßen und Rütteln. Ein sanftes Rauschen, als flüsterten viele Menschen miteinander, drang neben dem lärmenden Geräusch des Motors an ihr Ohr.
Endlich wagte Demy es, die Augen aufzuschlagen. Ein paar Meter unter ihr glitten dunkle Baumwipfel vorbei, dahinter eröffnete sich ihr ein von der Sonne warm beschienener Flickenteppich aus grünen Weiden, bunten Blumenwiesen und Feldern in allen Farbschattierungen, die Gott
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