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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Namen sich niemand merken konnte. Er und Modeste hielten einander immerzu bei den Händen und kicherten, sobald jemand in ihre Nähe kam. Im übrigen schien jeder von ihnen damit beschäftigt, sich im stillen einzureden, er habe mit dem anderen eine glänzende Partie gemacht.
    Felicia begriff, weshalb sie sich mit aller Macht fortsehnte. Sie brauchte die Unruhe, um zu vergessen. Sie brauchte Arbeit und Sorgen und durchwachte Nächte und Alkohol und Zigaretten und Menschen. Sie ertrug die Stille nicht, am wenigsten die der Seen und Wiesen, die sie einmal so sehr geliebt hatte.

    Sie kehrten von einem ihrer langen, schweigsamen Gänge zu Susannes Grab zurück. Es war März, zerfetzte Wolken jagten über den Himmel, vereinzelt fielen helle Sonnenstrahlen zur Erde, dann regnete es wieder, und der warme Tauwind rauschte in den Bäumen. Felicia schüttelte sich, als sie das Haus betraten.
    »Was für ein scheußliches Wetter! Ich habe ganz nasse Füße!«
    »Du mußt gleich ein heißes Bad nehmen«, sagte Benjamin. Vorsichtig schälte er sie aus ihrem Regenmantel. Seine Hände blieben auf ihren Schultern liegen. Felicia versuchte, sich seinem Griff zu entwinden. »Laß mich los... ich bin doch so naß...«
    Er zog sie fester an sich, sein Kopf schob sich nah an ihren, sein Gesicht vergrub sich in ihrem Haar. »Felicia, du mußt mir versprechen, daß du mich nie verläßt. Bitte. Nicht wahr, du versprichst es mir. Du wirst mich niemals verlassen!«
    Sie hatten diese Szene jedesmal, wenn sie vom Grab zurückkamen, und Felicia fürchtete, daß sie darüber irgendwann einmal hysterisch werden würde. »Benjamin«, sagte sie vorsichtig, »ich werde hin und wieder nach München müssen,um...«
    »Dort läuft doch alles ohne dich. Wenn nicht, würden die doch hier anrufen.«
    »Wie denn? Wenn unser Telefon kaputt ist!« Felicia fand, es sei eine besondere Tücke des Schicksals, daß dies hatte passieren müssen. Während der großen Februarstürme waren zwei Leitungsmasten umgestürzt, so daß die Drähte, die Skollna mit der Welt verbanden, nun trostlos und zerrissen in die Luft starrten. Zu Felicias Ärger war es Benjamin mit der Reparatur keineswegs eilig. »Wenn das Wetter besser ist, Liebling«, lautete seine stereotype Antwort auf ihre diesbezüglichen Bitten. Und heute sagte er gleichmütig: »Dann würden sie eben telegraphieren, wenn etwas ist!«
    »Ja, das stimmt. Aber ich hatte ja auch alle Verträge schon abgeschlossen. Nur irgendwann muß ich wieder...«
    »Nein, sag es bitte nicht! Du bist alles, was ich auf der Welt habe. Bitte, Felicia. Geh jetzt nicht weg von mir!« Benjamins Gesicht trug einen Ausdruck der Ergebenheit, der Felicia aufbrachte. Unwirsch riß sie sich los. »Lieber Himmel, ich habe ja nicht gesagt, daß ich jetzt gehe!« Sie lief an ihm vorbei und eilte die Treppe hinauf. Sie wollte das Zittern um seinen Mund nicht sehen. Am Ende hätte sie dann bloß wieder ein schlechtes Gewissen, jenes ärgerliche Schuldgefühl, das man hatte, wenn man kleine Kinder oder Hunde anschrie und sich nachher vorkam wie ein brutales Ungeheuer. Am besten, sie setzte sich jetzt tatsächlich in die Badewanne und stellte dabei das Grammophon an, so laut wie möglich.
    Benjamin sah ihr nach, wie sie oben verschwand. Er stand unten im Gang mit leicht gebeugten Schultern, das Wasser tropfte ihm aus Haaren und Kleidern und bildete kleine Pfützen um ihn herum. Er war so tief in seine Gedanken versunken, daß er die Schritte des alten Dienstmädchens Minerva nicht hörte. Erst als sie dicht hinter ihm stand, wandte er sich um. »Ach,Minerva, du bist es.«
    Minerva hatte der verstorbenen Susanne ein Leben lang gedient, und sie war deren Sohn mit Haut und Haaren ergeben. Auch jetzt verzog sich ihr Mund zu dem geheimnisvollen, vertraulichen Lächeln einer Komplizin. »Herr Lavergne... ich habe etwas für Sie...« Sie zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Schürzentasche, reichte es ihm verstohlen. Ihre Stimme war nur ein Wispern. »Wieder ein Telegramm aus München...«
    »Danke, Minerva.« Benjamin ergriff das Papier. Sein rechtes Auge zuckte gequält. Seinem guten, ehrlichen Wesen war es zutiefst zuwider, was er tat, er haßte sich dafür, aber er konnte nicht anders... er konnte nicht anders...
    Er erschrak, als von oben in aufdringlicher Lautstärke Felicias Grammophon lostönte. Kreischend schmetterte die Musik durchs Haus. Benjamin konnte die Vorstellung nicht verscheuchen, wie Felicia nun im Badezimmer stand und

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