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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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das Neue? Die alten Zeiten sind vorbei. Sie kommen nicht wieder. Und... die Menschen auch nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nun, ich meine einfach, daß...« Felicia stockte, weil ihr plötzlich ein Einfall kam, der sie selber so erschreckte, daß sie sich fast daran verschluckte. Blitzschnell versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Nein, wenn sie jetzt sagte, was sie hatte sagen wollen, würde sie wohl dafür in die Hölle kommen.
    »Ach nichts«, murmelte sie unbestimmt und lief eilig die Treppe hinauf.
    Jedoch, der Gedanke ließ sie nicht los in den nächsten Tagen. Sie hatte gehört, wer einmal den Teufel in sein Herz lasse, sei unrettbar von ihm besessen. Hundertmal sagte sie sich: Ich tue es nicht! Nein, ich tue es nicht, ich darf nicht Schicksal spielen!
    Ihr Moralbegriff war nicht allzu ausgeprägt, aber sie hegte eine unbestimmte Furcht vor der Rachsucht des Schicksals. Sie diskutierte mit ihrem eigenen Gewissen und fand dabei heraus, daß sie seine Penetranz unterschätzt hatte. Wahrscheinlich hätte das eine Ewigkeit so gehen können, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das die Lage der Dinge veränderte: In den frühen Morgenstunden des ersten Mai gab Severin den Kampf gegen seine Atemlosigkeit auf. Nach einer furchtbaren Nacht, in der er den Hals immer höher reckte und mit blau gefärbten Lippen um das einzige bettelte, was er auf dieser Erde noch begehrte, nämlich ein wenig Sauerstoff, starb er schließlich unter den Händen des Arztes.
    Felicia organisierte in den nächsten Tagen die Trauerfeier, die Beerdigung, schrieb die Karten an Verwandte und Bekannte und erfuhr während der Testamentseröffnung, daß Kat und Alex das Haus geerbt hatten, Alex außerdem die verbliebenen Anteile an der Fabrik, daß sie aber Verfügungsvollmacht erhielt. Jeder vertraute darauf, daß sie die Dinge im Griff hatte, so als habe die Mauer, die sie alle umgab, nie zu bröckeln begonnen. Felicia dachte ungeduldig: Meinen sie, es geht alles weiter wie bisher, nur weil sie sich weigern, den Tatsachen ins Auge zu sehen?
    Die Verzweiflung machte sie kühn. Als sie von der Beerdigung zurückkehrte, war sie entschlossen, jeden Strohhalm zu ergreifen, der sich ihr bieten würde.
    »Wo ist Kat?« fragte sie die anderen. Niemand hatte sie seit der Rückkehr vom Friedhof gesehen.
    »Ich glaube, sie ist völlig gebrochen«, sagte Sara, »sie hat den letzten verloren, den sie liebte. Sie irrt herum wie jemand, der keinen Weg mehr sieht.«
    »Ich wünschte, sie würde heiraten«, sagte Felicia, »damit sie jemanden hat, zu dem sie gehört. Wie findest du Tom Wolff? Er ist sehr verliebt in Kat.«
    »Ich denke, er würde gut für sie sorgen. Allerdings ist da noch Phillip, und...«
    »Eben«, unterbrach Felicia kurz, «das ist das Unglück. Kat wartet auf einen Toten.«
    Sie fand ihre Schwägerin schließlich im Wintergarten. Im verdämmernden Licht des Tages saß sie dort auf den Rohrgeflechtstühlen, auf denen ihr in glücklicheren Tagen Phillip Rath einen Heiratsantrag gemacht hatte, und starrte in den weitgeöffneten blutroten Kelch einer Orchidee, als erwarte sie dort das Wunder, das ihrer Lethargie ein Ende machen und ihren Kummer mildern würde. Felicia setzte sich neben sie und sagte ihr, daß es im Leben eines Menschen Zeiten gebe für die Trauer, aber daß es gefährlich sei, nicht zu erkennen, wann die Zeit zu leben wiederkehre. »Es nützt nichts, in vergangenen Träumen zu leben, Kat. Nicht zu oft stehenbleiben. Du hast es damals in Rußland geschafft weiterzugehen, als Andreas und seine Familie ums Leben kamen, und du mußt es mit... Phillip genauso machen.«
    Kat wandte ihr brennend schwarze Augen in einemtotenblassen Gesicht zu. »Phillip ist am Leben. Und ich werde warten, bis er kommt.«
    »Nein. Phillip ist tot.«
    Die Worte blieben im Raum stehen, klangen bis in seinen letzten Winkel nach. Es war sonst völlig still. Von irgendwoher im Haus tönte gedämpftes Stimmengemurmel.
    »Er wird vermißt«, sagte Kat schließlich. Ihre Stimme hatte etwas von brechendem Eis.
    »Nein. Er wird nicht vermißt. Wir erhielten damals die Nachricht, daß er gefallen ist.« Es hätte Felicia nicht gewundert, wenn in diesem Augenblick der Teufel selber neben ihr aus der Erde gefahren wäre und sie zur Rechenschaft gezogen hätte.
    »Wir wollten es dir nicht sagen. Du hattest schon so viel Schweres erlebt.«
    Überraschenderweise geschah nichts, kein Blitz, kein Donner, kein Weltbeben. Unverändert blutrot starrte ihnen die

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