Sturmzeit
Höhen früher oder später verhungern würde.
»Eines Tages wirst du weniger stolz sein. Und du wirst feststellen, daß du niemanden hast, nur mich.« Er lachte und lauschte in der Erinnerung dem Klang seiner Worte nach. Welch wahre Prophezeiung! Kat hatte ihren Vater verloren, war von ihrem Bruder verlassen und um den Glauben an Phillips Wiederkehr gebracht worden und sah sich jener Sehnsucht nach Geborgenheit ausgeliefert, die schicksalhaft für sie war seit den Tagen, da ihre Mutter allzu früh gestorben war. Wolff stand auf und kippte mit einem Schwung den Whisky hinunter, den er schon eine ganze Weile nachdenklich im Glas herumschwenkte. Die Uhr hinter ihm schlug zehn Mal. Seit zehn Stunden war er verheiratet. Seit zehn Stunden war er ein Mann, der alles erreicht hatte. Kassandra Lombard... er sprach den Namen leise vor sich hin. Die schöne, schöne Kassandra! Er hatte sie aufwachsen sehen, und seit ihrem vierzehnten Geburtstag hatte er davon geträumt, über ihre dunklen Haare zu streichen, ihre Lippen zu küssen, mit den Händen jede Linie ihres Körpers zu verfolgen. Den ganzen Abend über schon malte er sich aus, wie es mit ihr sein würde. Fast war er ein wenig nervös. Er kannte entweder Huren, die er manchmal von der Straße mitnahm, oder die verlebten, immer etwas gelangweilten Frauen der Münchener High Society. Neureiche, die wie er im Zuge des Krieges zu Geld gekommen waren. Er schenkte sich noch einen Whisky ein und trank ihn hastig, ehe er die Treppe hinaufstieg.
Im Schlafzimmer brannte kein Licht. Im ersten Moment dachte er, Kat sei bereits eingeschlafen, was ihn tief enttäuschte. Er hätte es nicht gewagt, sie zu wecken, obwohl er sich innerlich über seine eigene Scheu lustig machte. Aber als er das Licht einschaltete, sah er, daß sie wach im Bett lag, und ihre Augen blickten ihn mit einem seltsamen Ausdruck an... herausfordernd, fast provozierend. Das wunderte ihn. Er hatte sie sich schüchterner vorgestellt, aber nun schien es, als sei seine Verlegenheit größer als ihre. Auf einmal fühlte er sich ihr unterlegen; er wußte, er war nie ein gutaussehender Mann gewesen. Seit Jahrzehnten daran gewöhnt, seine Komplexe hinter protzigem Gehabe zu verstecken, flüchtete er auch diesmal in ein übertriebenes Gebaren. Er wurde ausgesprochen aggressiv.
Seine Unsicherheit und ihre überlegene Ruhe machten ihn wütend. Verdammt, er war ein Mann von Welt, er hatte hundert Frauen gehabt, sich vor keiner gefürchtet, keine hatte sich je beschwert. Mit heftigen Bewegungen zog er sich aus, warf sich ins Bett und machte sich über Kat her wie über eine langgejagte Beute. Sie lag so bewegungslos wie ein Stück Holz und hoffte nur, er werde fertig sein, ehe der schmerzende Druck seiner Ringe an ihrem Hals unerträglich wurde. Wolff war ein erfahrener Liebhaber, aber diese Nacht konnte er nur als mißglückte Inszenierung betrachten. Vor dem entscheidenden Moment hatte er sich bereits verausgabt, für ihn vollkommen neu, ein Phänomen, das sich mit Kat später noch oft wiederholen sollte und von ihm schließlich resigniert zur Folge seiner Minderwertigkeitsgefühle erklärt wurde. Kat lag immer noch völlig unbeteiligt im Bett und lauschte auf seine keuchenden Atemzüge. Als er wieder sprechen konnte, wandte er sich ihr zu. Im Licht der Gaslaternen von der Straße konnte sie sein Gesicht schwach erkennen. »Alle Achtung«, sagte er,»dein in Frankreich verschollener Offizier verstand es schon, sich einen besonders lieben Gruß zum Abschied mit in die Fremde zu nehmen!«
»Bitte?«
»Du verstehst schon. Dein unschuldiges Gesichtchen ist bloß eine gelungene Täuschung. Wie viele Kerle hattest du denn schon?« Er formulierte bewußt brutal, um seine Betroffenheit darüber zu verbergen, daß sie in all den Jahren keineswegs in ihrer stillen Kammer auf den Mann gewartet hatte, dem sie einmal angetraut werden würde. Er hatte nie einer Frau wegen Eifersucht empfunden, denn sein Geld hatte ihm immer die Möglichkeit gegeben, sich so viele Mädchen zu kaufen, wie er nur wollte, und manchmal hatte er mit einem Gefühl der Übersättigung zu kämpfen gehabt. Aber jetzt, in diesem Augenblick, überfiel ihn quälende Eifersucht. Er stützte sich auf seinen Arm auf. »Wie viele?« wiederholte er wütend.
»Nur einer«, sagte Kat, »ein russischer Baron. Er ist tot.«
Ihre Stimme verriet nichts davon, daß sie in diesem Moment hätte sterben mögen vor Sehnsucht nach Andreas, nach Rußland, Regen und Revolution.
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