Sturmzeit
großzügig zu vergessen. Der ehemals Geächtete war inzwischen ein einflußreicher Mann und wichtiger Geschäftspartner geworden, und niemand erinnerte sich mehr gern daran, daß man seine Gesellschaft früher mit hochgezogenen Augenbrauen und verächtlichem Lächeln gemieden hatte. Es machte Wolff Spaß, die einstigen Könige zu sich einzuladen, wissend, daß sie es nicht wagen würden abzusagen, obwohl es sie beim Anblick halbnackter Tanzmädchen schüttelte und sie es haßten, neben den Kriegsgewinnlern zu sitzen und ihren vulgären Frauen freundliche Komplimente zu machen. Es bereitete ihm ein außerordentliches Vergnügen, die hochmoralische Auguste Breitenmeister im Gespräch mit der halbseidenen Gattin eines Emporkömmlings zu erleben, einer Frau, die sie früher kaum zur Kenntnis genommen hätte. Ja, er hatte es immer gewußt, die Rache war das süßeste aller Gefühle!
Angestauter Ärger und lang unterdrückte Aggression aber richteten sich wie auf eine geheime Verabredung hin vor allem auf Felicia. Im Grunde hatte nie jemand sie richtig gemocht.
»Ich sage dir, sie kam aus Rußland zurück mit einem Bauch so dick wie ein Wildschwein«, berichtete Auguste ihrem Mann zum hundertsten Mal, »Gott mag wissen, mit wem sie sich da eingelassen hat! Es ist unglaublich, mit welcher Dreistigkeit und wie schamlos sie Alex Lombard ihren Ehebruch präsentiert hat. Und kaum hat sie ihn glücklich davongejagt, reißt sie sich seinen Besitz unter den Nagel und tut sich auch noch mit diesem Wolff zusammen!«
Ihr Mann murmelte verlegen vor sich hin. Schließlich hatte er sich selbst mit Wolff zusammengetan, und Felicia wußte das bestimmt auch. Als sie in ihrem Abendkleid hereingerauscht war und ihm zur Begrüßung zugenickt hatte, hatte er es kaum gewagt, sie anzusehen. Er hatte verunsichert auf ihr Decolleté gestarrt und hinter sich seine Frau mit Clara Carvelli tuscheln hören: »Eine Provokation!« Damit allerdings hatte sie das richtige Wort gefunden. Felicia wirbelte wirklich als leibhaftige Provokation durch den Saal, und die Blicke folgten ihr voller Neugier.
»Das ist Felicia Lavergne. Sie war verheiratet mit Alex Lombard. Jetzt führt sie die Fabrik mit Wolff zusammen.«
»Er soll sie aufs Kreuz gelegt haben, sagt man.«
»So wie die aussieht, steht sie wieder auf!«
»Irgendwie wirkt sie verändert...«
»Sie hat sich die Haare abschneiden lassen. Ich finde das eine Unsitte! Zu meiner Zeit waren die Frauen stolz auf ihr langes Haar!« trompetete Auguste. Clarissa sandte Felicia neiderfüllte Blicke nach und zupfte kummervoll an ihrer wolligen Dauerwelle herum, die ihr Verdruß bereitete, seitdem sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte.
Wolff, der sich im Gespräch mit einigen Herren befand, strahlte auf, als Felicia auf ihn zukam, und streckte beide Arme nach ihr aus. »Meine Liebe, endlich! Ich dachte schon, Sie seien in den ostpreußischen Weiten verlorengegangen! Sie sehen sehr schön aus, wissen Sie das?«
Felicia ergriff seine Hände, lächelte süß und flüsterte, während sie ihn dicht an sich heranzog (zu dicht, wie später die einhellige Meinung aller lautete): »Ich werde Sie vor Gericht bringen, Tom Wolff! Und wenn ich mit Ihnen fertig bin, ist nichts mehr von Ihnen übrig!«
Wolff lachte sie an. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß.
»Man wird nie behaupten können«, sagte er, »Felicia Degnelly habe an irgendeiner Biegung ihres wechselvollen Lebens klein beigegeben.«
»Nie«, bestätigte Felicia.
Wolff entzog ihr seine Hände und reichte ihr seinen Arm.
»Wir eröffnen den Ball mit einem Walzer. Würden Sie ihn mit mir tanzen?«
»O ja, das werde ich! Aber ich werde Ihnen dabei die Hölle heiß machen. Es ist Ihnen hoffentlich klar, daß Sie mit Ihren Methoden nicht durchkommen werden?«
»Psst, schimpfen Sie nicht. Lauschen Sie lieber auf die herrliche Musik. Und zählen Sie, wie Sie es sicher in derTanzstunde gelernt haben!«
»Zählen Sie lieber für sich. Sie sind nicht im Takt.«
»Das ist wieder meine mangelhafte Erziehung. Ich besuchte nie eine Tanzschule. Trotzdem habe ich es weit gebracht, nicht?«
»Wahrscheinlich sind Sie von einem Betrug zum nächsten geeilt!«
»Na, na! Ich bin Ihr Geschäftspartner, vergessen Sie das nicht!«
»Es fiele mir schwer, das zu vergessen. Denn diese Tatsache haben Sie weiß Gott gründlich ausgenutzt!«
»Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, daß wir zwei wilde Tiere sind, von denen jedes darauf wartet, daß das andere ihm
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