Sturmzeit
von Sara geschrieben: »Benjamin hat angerufen!«
»O Gott«, murmelte sie, »auch das noch!«
Wie magisch angezogen trottete sie auf die Tür zu, hinter der Severin lag, klopfte und trat ein.
Severin schlief in den Nächten schon lange nicht mehr, weil ihm sein schwaches Herz keinen einzigen normalen Atemzug und schon gar kein flaches Liegen mehr gestattete. Er ertrug die Dunkelheit nicht, weil ihn seine Todesangst hinter jedem Schatten das Verderben wittern ließ. Er saß aufrecht im Bett und kämpfte röchelnd um sein Leben. Die Ärzte gaben ihm keine vier Wochen mehr.
»Ich wußte, daß du kommen würdest«, sagte er keuchend, als er seine Schwiegertochter erblickte, »ich habe längst gemerkt, daß hier irgend etwas nicht stimmt. Setz dich hin und erzähl mir alles, und wehe, du läßt auch nur eine einzige Einzelheit aus!«
Als Felicia den Alten nach einer Stunde wieder verließ, von seinem Japsen so angesteckt, daß sie selber schon beinahe röchelte, klang ihr von allem, was gesprochen worden war, ein Satz in monotoner Wiederholung im Ohr: »Rette unsere Fabrik!
Rette unsere Fabrik! Rette...«
»Warum nur hast du Wolff soviel Macht gewinnen lassen, Vater?«
»Ich wollte, daß Alex zurückkommt.« Nur das Bewußtsein des nahen Endes konnte Severin dieses Geständnis entreißen.
»Ihr habt euch doch immer nur gehaßt?«
»Er ist mein einziger Sohn.«
»Was würdest du sagen, wenn Wolff und Kat heirateten?«
»Standesdünkel sind überholt, nicht? Wir leben in einer neuen Zeit. Meinen Segen hätten die beiden. Denn eines muß man diesem Emporkömmling lassen: Für das, was er besitzt, sorgt ergut.«
»Es gab eine Zeit, da hättest du für Kat einen König gewollt, keinen Bauern.«
»Man muß sich veränderten Umständen anpassen, wenn man durchkommen will. Ein bißchen Opportunismus schadet nie.«
Der nächste Morgen bescherte dem Haus mancherlei Aufregung. Nicola, die Sara und Martin am Abend zuvor heimlich gefolgt war und herausgefunden hatte, daß die beiden die halbe Nacht lang durch den Englischen Garten spaziert waren, legte Sara vor den Augen und Ohren aller Hausbewohner eine Eifersuchtsszene hin, die sich auf der Bühne hätte sehen lassen können. Beide Mädchen waren am Ende in Tränen aufgelöst und flüchteten jede in ihr Zimmer. Ein Blumenbote brachte im Auftrag von Tom Wolff einen Rosenstrauß für Kat, den die sofort der erstaunten Jolanta in den Arm drückte. Gleichzeitig klingelte das Telefon. Es war Benjamin, der Felicia fragte, weshalb sie nicht zurückgerufen habe, wo sie am gestrigen Abend gewesen sei und ob sie angesichts der jüngsten Geschehnisse gedenke, nach Hause zu kommen.
»Was ist denn geschehen?« erkundigte sich Felicia pflichtschuldig.
»Susanne hat die Masern«, teilte ihr Benjamin mit getragener Stimme mit.
»Schlimm?«
»Ob du das schlimm findest, mußt du selber wissen.«
Felicia konnte sein Quengeln nicht ertragen. »Das ist keine Auskunft. Wenn du merkst, es geht ihr sehr schlecht, dann ruf mich wieder an, dann komme ich. Aber im Augenblick herrscht hier das vollkommene Chaos, und ich kann nicht weg. Benjamin, bist du noch da? Benjamin!«
»Der Gesprächsteilnehmer hat das Gespräch beendet«, sagte das Fräulein vom Amt. Felicia legte auf, schüttelte den Gedanken an Benjamin ab. Sie drehte sich um und gewahrte Kat, ein dünner, grauer Schatten im morgendlichen Zwielicht. Sie war blaß und hatte in der letzten Zeit die Gewohnheit angenommen, sich wie eine Schlafwandlerin zu bewegen. Felicia wußte, daß sie an ihrer Einsamkeit litt und von dem Gedanken beherrscht wurde, ihre Jugend und ihr Leben gingen dahin, ohne daß etwas geschah, was sie in späteren Jahren zu einer Erinnerung würde machen können.
»Warum hast du Wolffs Rosen nicht behalten?« fragte Felicia unvermittelt. »Er meint es doch sehr nett.«
»Er meint es seit Jahren sehr nett. Aber irgendwann müßte er begreifen, daß ich nichts von ihm will.«
»Warum eigentlich nicht? Er ist gut zu denen, die er mag.«
Kat starrte ihre Schwägerin an. »Das sagst du? Nach allem, was war?«
»Er ist ein harter Geschäftsmann. Darüber kann man sich ärgern, aber anders setzt sich niemand durch. Privat... kann er sehr gutherzig sein.«
»Was ist denn los? Sah er gestern abend so gut aus?«
»Er hat sehr warm von dir gesprochen.«
Kat stieß einen verächtlichen Laut aus. Felicia nahm ihre Hand.
»Kat, kann es nicht sein, daß du zu sehr an der Vergangenheit hängst und nicht offen bist für
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