Sturmzeit
Nach dem feuchten Duft der Rosen und dem satten Geruch der nassen Erde. Für Wolff bedeutete ihre Antwort eine Ohrfeige. Phillip Rath war eine reale, greifbare Figur gewesen, dem russischen Baron hingegen haftete die geheimnisvolle Aura eines fernen Landes, einer stürmischen Zeit, eines im nachhinein leicht zu verklärenden romantischen Weltunterganges an.
»Verdammt!« sagte Wolff.
Ausgelaugt, erschöpft und enttäuscht rollte er sich am äußersten Rand des Bettes zusammen. Sein Triumphgefühl war verflogen. Kat gehörte ihm nicht, so wie seine Häuser, seine Autos, seine Geschäfte. Sie würde ihm nie gehören, und er begriff, daß er die letzte Hürde nicht genommen hatte.
7
Die Reichsmark verfiel. Die Inflation hatte sich schon lange angekündigt, aber daß es so schnell ging und vor allem so deutlich uferlos zu sein schien, überraschte die meisten dann doch. Als das Jahr 1923 anbrach, bekamen die Menschen für immer mehr Geld immer weniger Waren. Wer Sachwerte besaß, konnte sich, fing er es geschickt an, ein Vermögen aufbauen, während Lohnempfänger hoffnungslos auf der Strecke blieben. Der Mittelstand verblutete. Kleinere Unternehmen machten Pleite, während die größeren immer größer wurden. Wer am Abend mit seinem Lohn nach Hause kam, konnte damit rechnen, am nächsten Morgen schon beinahe nichts mehr dafür zu bekommen. Die Menschen erstickten im Geld, blätterten Millionen auf die Ladentische, um dafür ein Pfund Butter zu bekommen und Stunden später schon nur noch einen Kanten Brot. Kinderreiche Familien wußten nicht mehr, wie sie die vielen hungrigen Mäuler satt bekommen sollten. Existenzen gingen zugrunde, und aus dem Sumpf entstanden neue, und diese Umwälzung ging weit über die der Novemberrevolution von 1918 hinaus.
Die Regierung Wirth war zurückgetreten, weil sie in der Frage der deutschen Reparationspflichten nicht weiterkam, aber die neue Regierung unter Wilhelm Cuno stand diesem Problem ebenso hilflos gegenüber. Daraufhin besetzten die Franzosen im Januar das Ruhrgebiet. Der Reichskanzler rief die Arbeiter zum passiven Widerstand auf, eine Maßnahme, die von den Gewerkschaften unterstützt wurde, sich aber schon bald als verhängnisvoll erwies, denn die Verpflichtungen des Reiches stiegen dadurch und konnten nur durch den vermehrten Druck von Banknoten ausgeglichen werden. Dies trieb die Inflation ihrem Höhepunkt entgegen. Der Ruhrkampf kostete die ehrenwerte Familie Stadelgruber aus München ihren guten Ruf; zur größten Überraschung aller wurde Lydias Mann illegaler Waffenlieferungen an nationalsozialistische Widerstandsgruppen überführt und verhaftet. Felicia wurde den Verdacht nicht los, daß auch Wolff seine Finger dort im Spiel hatte, denn bei der Nachricht von Stadelgrubers Verhaftung wurde er blaß und war drei Tage lang nicht ansprechbar. Doch wenn es eine Verbindung gab, so hielt Stadelgruber dicht, ging heroisch allein ins Gefängnis und gab seinen Komplizen die Möglichkeit, ihre dunklen Geschäfte einigermaßen ungerührt weiter zu betreiben. Lydia verschwand aus der Münchener Gesellschaft, denn sie, die sich nie etwas hatte zuschulden kommen lassen, wußte nicht, wie sie die Schande ertragen sollte. Stadelgrubers Textilfabrik machte kurz darauf Pleite und wurde von Wolff aufgekauft. Felicia traf Lydias Tochter Clarissa einige Tage später in einem Kaufhaus, wo sie als Verkäuferin hinter der Kasse arbeitete. Sie erstarrte vor Scham, als sie plötzlich Felicia gegenüberstand, und die dachte erleichtert: Wie gut, daß es Tom Wolff gibt.
Sie wußte, allein hätte sie diese Zeit nicht überstanden. Wolff sorgte dafür, daß sie an der wirtschaftlichen Tragödie Deutschlands verdienten, nicht zerbrachen. Ihr Einfluß wuchs, die Zweige ihres Geschäfts breiteten sich weit über München hinaus aus. Felicia verdiente genug Geld, um Nicolas Schule zu bezahlen, Elsa zu unterstützen und Jos Studium zu finanzieren. Seine pflichtschuldigen Proteste beantwortete sie mit dem Satz, er könne ja alles zurückzahlen, wenn er erst ein reicher und berühmter Anwalt sei, und im übrigen verdiene sie kein Geld, um es auf einem Bankkonto zu horten. Jetzt, in diesen düsteren Zeiten, begriff sie, weshalb sie gearbeitet und gespart hatte, weshalb es ihr so wichtig gewesen war, unabhängig von ihrem Mann zu sein.
»Eine Frau muß ihr eigenes Geld haben«, sagte sie immer wieder und genoß es, die Menschen erhalten zu können, die sie am meisten liebte.
Seit der Affäre um Kat,
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