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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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in der Hand drängte sie sich durch die Menge. Weshalb nur war dieser August so heiß? Zu spät bemerkte sie, daß sie ihren Sonnenhut im Wagen vergessen hatte.
    Auf dem Bahnhof wimmelte es von Soldaten, Mitglieder der Königsberger Garnisonstruppen und der Landwehrbrigaden. Viele waren verwundet; Felicia sah verbundene Arme, geschiente Beine und schwarze Klappen über den Augen. Manche stützten sich beim Gehen auf Krankenschwestern, in denen Felicia hier und da die Töchter von befreundeten Gutsbesitzersfamilien erkannte. An diesem Tag inszenierten einige einen großen Auftritt. Felicia erspähte Ernestine, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das im Kleid einer Rot-KreuzSchwester neben einem humpelnden Soldaten einherging und ihn fürsorglich stützte. Sie kicherte und strahlte ohne Unterlaß, und der junge Mann, fiebrig wie er war und wegen seiner Behinderung unfähig zu entkommen, lauschte ergeben. Ernestine kam sich ungeheuer wichtig vor. »Hallo, Felicia!« rief sie, »was tust du denn noch hier? Ich dachte, du seist längst in Berlin?«
    »Ich mochte Ostpreußen in der Stunde größter Not nicht verlassen«, gab Felicia zurück, »und ich sehe, auch du erfüllst deine vaterländische Pflicht mit ganzer Hingabe.«
    Ernestine sah sie entrüstet an. Sie opferte sich auf im Dienst der guten Sache, und Felicia kam daherspaziert und machte sich darüber lustig. Nun lächelte sie dem verwundeten Soldaten auch noch schamlos zu, daß er Ernestine vergaß und wie verzaubert das Mädchen mit den blaßgrauen Augen betrachtete.
    »Los, kommen Sie«, befahl Ernestine grob und zerrte ihn so heftig weiter, daß er fast über sein verletztes Bein gestolpert wäre und nur im letzten Moment von einem herbeistürzenden Kameraden aufgefangen werden konnte.
    »Aber Schwester, was machen Sie denn?« hörte Felicia ihn sagen und mußte über Ernestines wütendes Gesicht lachen. Sie hätte sich gerne noch länger amüsiert, doch sie mußte weiter. Als sie über den Bahnhof hastete, sah sie plötzlich Onkel Victor, der in einem Schalterhäuschen saß und emsig auf einem Papier herumkritzelte. Rasch trat sie heran. »Onkel Victor!« Er fuhr auf und starrte sie finster an. »Was, um alles in der Welt, tust du denn hier?« fragte er giftig. Felicia zog die Augenbrauen hoch.
    »Und was tust du hier, Onkel Victor? Ich dachte, du bist an der Front und schießt jede Minute wenigstens einen Feind tot!«
    Es gefiel Victor ganz und gar nicht, so ertappt zu werden. In seinem Kopf hatte er sich bereits Erzählungen der kühnsten und schönsten Heldentaten zurechtgelegt, mit denen er später prahlen wollte, und nun kam seine Nichte daher, erwischte ihn hinter dem Schreibtisch und schleuderte ihm Frechheiten ins Gesicht. »Du kannst dir deine schnippischen Bemerkungen sparen, mein Fräulein«, sagte er zornig, »was ich hier tue, ist sehr wichtig. Ich überwache das Verladen der Verwundeten.«
    Es lagen Felicia noch ein paar hübsche Bosheiten auf der Zunge; die verschluckte sie, als ihr in den Sinn kam, was sie ihm eigentlich mitteilen mußte. »Großvater ist gestorben«, sagte sie. Victor blickte sie fassungslos an. »Gestorben? Haben ihn die Russen...?«
    »Nein. Du... du mußt dich nicht genötigt sehen, auf der Stelle loszustürzen und ihn zu rächen. Es war sein Herz.«
    Victors Gesicht nahm eine graue Farbe an, sein Kinn zitterte. Er war völlig erschüttert, denn es gelang ihm nicht, sich seinen vitalen, aufbrausenden Vater, vor dessen scharfer Zunge er sich ein Leben lang insgeheim gefürchtet hatte, tot vorzustellen. Er sah aus, als sei seine ganze Welt ins Wanken geraten, und einen Augenblick lang tat er Felicia fast leid. Um zu vermeiden, daßsie plötzlich beide in Tränen ausbrachen, sagte sie schnell:
    »Großmutter ist im Berliner Hof. Und ich möchte nach Hause.
    Wann geht der nächste Zug?«
    Nun war Victor wieder die Wichtigkeit in Person. »Du bist ja nicht gescheit! Ein Zug! Hier gehen heute und morgen nur Verwundetentransporte ab, und was übermorgen wird, weißnoch niemand.«
    »Ja, aber ich möchte doch nach Berlin zurück!«
    »Glaubst du, im Krieg nimmt noch irgend jemand Rücksicht auf deine Wünsche? Nein, es wird Zeit für dich zu lernen, daß du nicht der Mittelpunkt der Erde bist!« Es tat Victor gut, das endlich einmal sagen zu können. Solange er sie kannte, hatte er sich über Felicia geärgert. »Geh zurück ins Hotel. Vielleicht ist Gertrud so freundlich und stellt für dich ein Notbett in ihrem Zimmer auf«,

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