Sturmzeit
haben!«
»Du haßt nicht den Krieg, sondern die Unannehmlichkeiten, die er dir bringt«, sagte Maksim, aber Felicia hörte ihm nicht zu. Ihre Wut fiel so schnell in sich zusammen, wie sie gekommen war; zurück blieben Schmerz und die Entschlossenheit, den Abgang so würdevoll wie möglich zu gestalten. Sie reichte dem Arzt ihre Hand. »Helfen Sie mir bitte auf den Wagen«, sagte sie, »ich komme mit nach Berlin.« Sie preßte die Lippen zusammen, als sie hinaufgeklettert war und in das Halbdunkel des stickigen Waggons tauchte. Der Gestank war so schlimm, daß sie glaubte, sie würde ersticken. Überall schwirrten Fliegen herum; schwarze, dicke Käfer krochen zu Felicias Entsetzen in die offenen Wunden der Verwundeten hinein. Ein Mann neben ihr richtete sich auf und erbrach sich, im letzten Moment konnte sie ihren Fuß wegziehen. Die Lokomotive stieß einen kreischenden Laut aus, und Felicia hätte sich am liebsten umgedreht und wäre aus dem langsam anrollenden Zug gesprungen. Doch dort draußen stand Maksim, und den Triumph, sie mit klappernden Zähnen die Flucht ergreifen zu sehen, wollte sie ihm nicht bieten.
Für den Arzt und die Patienten jedoch bedeutete sie zunächst keine Hilfe. Sie kauerte sich in eine Ecke auf eine Holzkiste, stützte den Kopf in die Hände und fing an, wie ein kleines Mädchen zu weinen.
5
Die Uhrzeiger näherten sich bereits mitternächtlicher Stunde, als sich Felicia zu fragen begann, weshalb sie sich darauf eingelassen hatte, einen Abend mit dem Fremden aus München zu verbringen. Nicht, daß er nicht amüsant gewesen wäre, im Gegenteil, selten hatte sie sich in Gesellschaft eines Mannes so gut unterhalten. Er wohnte im Hotel Esplanade in der Bellevuestraße am Tiergarten, und dort aßen sie auch zu Abend. Sie schlürften Austern, verschlangen Blinis mit Kaviar und stillten ihren Durst am Champagner, der in den hohen Gläsern schäumte. Der Fremde - im stillen nannte sie ihn noch »den Fremden«, obwohl sie wußte, daß er Alex Lombard hieß - protzte ein bißchen mit seinem Geld, aber das wirkte seltsamerweise weder affig noch lächerlich, wie manchmal bei sehr jungen Männern, die auf Kosten ihrer Väter hohe Zechen machten.
Alex Lombard schien sich über sich selber lustig zu machen, während er den erstaunten Kellner mit einem Trinkgeld beglückte, das fast der Endsumme auf der Rechnung gleichkam. Er lachte; über sich, das Geld und das Leben, aber sein Mund wirkte ein wenig angespannt dabei. Seine Gebärden, mit denen er Champagner nachschenkte und die Blumenverkäuferin heranwinkte, um Felicia eine Rose zu schenken, schienen beinahe verachtungsvoll. Er hatte nichts mit den Männern gemein, die Felicia kannte, und es war kein Zufall, daß sie für ihn nur das Wort »fremd« fand.
Kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Sommer war er in der Schloßstraße aufgekreuzt, gerade an dem Tag, als Felicias Vater nach Osten reiste, um sich als Arzt den deutschen Truppen anzuschließen, und Elsa Stunde um Stunde wie betäubt im Berliner Zimmer saß und auf den Hof hinunterstarrte. DerFremde nannte seinen Namen, erklärte, er habe damals bei Kriegsausbruch ein Telegramm an Felicia abgesandt und er sei nur vorbeigekommen, um zu erfahren, ob die junge Dame sicher in Berlin angekommen sei.
Elsa schreckte aus ihrer Melancholie auf. »Ja, ja das ist sie. Felicia, komm doch mal her.«
Der Anblick von Männern rief in Felicia immer eine instinktive Beutegier wach, und der von Alex Lombard besonders. Er sah gut aus, fand sie, und er war offensichtlich anders als ihre üblichen Freunde. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Maksim; Größe und Figur stimmten überein, die dunklen Haare, die hochmütig blickenden Augen, der Anflug von Zynismus in den Gesichtszügen. Keine Spur jedenfalls von der schmachtenden Kuhäugigkeit eines Benjamin Lavergne, der sich und alles, was mit ihm zusammenhing, stets überaus wichtig nahm. Der Fremde schien es auch abzulehnen, Zuflucht zu jenen verschnörkelten Umwegen zu nehmen, die für gewöhnlich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bestimmten. Zu Elsas Entsetzen (Er hätte das nicht tun dürfen, dachte sie, er nutzt es aus, daß ich ihm Dankbarkeit schulde.) fragte er ohne Umschweife: »Hätten Sie Lust, morgen abend mit mir essen zu gehen, Felicia?«
Sie sagte zu, aus vier Gründen: Sie ging sehr gern aus. Er ähnelte Maksim Marakow. Sie bekam die Chance, Elsas patriotischem Strickkränzchen zu entfliehen. Und... sie war süchtig nach jeder
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