Sturmzeit
erleichtert. Onkel Victor würde sich wundern, wenn sie, anstatt kleinlaut um eine Unterkunft im Hotel zubitten, ein Grußtelegramm aus Berlin schickte. Albern von ihm, ihr einreden zu wollen, es gingen keine Züge mehr. Maksim blieb stehen. »Hier«, sagte er, »wir sind da.«
Felicia erblickte mehrere große Güterzugwaggons. Die Schiebetüren standen weit offen. Krankenpfleger schleppten Bahren mit Verwundeten heran, reichten sie vorsichtig hinauf, wo sie von anderen Männern in Empfang genommen wurden. Bleiche Gesichter auf harten Kissen, fiebrige Augen zwischen dicken Verbänden. Heisere Stimmen baten um einen Schluck Wasser, flehten um Morphium oder gleich um die ewige Erlösung. Wuchernde Barte umrankten bleiche Lippen, und überall war Blut, fließendes, hellrotes oder verkrustetes, dunkles Blut. Alles schien getaucht in Blut, alles schien erfüllt von Stöhnen und Jammern. Felicia griff sich an den Hals. »O... das ist...« sagte sie schwerfällig, »das ist ja furchtbar...«
Ein Verwundeter, der soeben an ihr vorübergetragen wurde, streckte die Hand nach ihr aus. »Helfen Sie mir«, flüsterte er,»halten Sie mich doch...«
Felicia trat zurück, so daß seine Hand ins Leere griff. Sie sah nicht, daß Maksims Lippen schmal wurden und daß Zorn und Verachtung in seinen Augen standen. »Ja, so fein stirbt es sich für den Kaiser«, sagte er bitter, »hübsch, nicht? So glanzvoll und heroisch!«
»Ach hör auf. Ich weiß ja, daß du den Kaiser nicht magst. Bring mich lieber zu meinem Abteil!« Sie wollte schnell weiter, aber er hielt sie zurück.
»Es gibt kein Abteil, Felicia. Ich habe dir gesagt, daß es mit Personenzügen aussichtslos ist. Aber dieser Verwundetentransport geht nach Berlin, und sie brauchen jede Hand. Ich habe mit einem der Ärzte vereinbart, daß du als Krankenschwester mitfahren kannst.«
Sie fuhr herum. Natürlich scherzte er, aber, weiß Gott, manchmal fand sie ihn nicht im allergeringsten komisch.
»Maksim, rede keinen Unsinn. Ich möchte jetzt...«
»Sind Sie die Dame, die uns helfen will?« Ein kleiner, grauhaariger Mann im weißen Arztkittel tauchte vor Felicia auf und nahm ihre Hand. »Schnell, dort im dritten Waggon werden Sie gebraucht. Ein Schwerstverwundeter!«
Felicia riß sich los und wurde blaß. »Das ist ein Irrtum. Ich... ich habe so was noch nie gemacht. Ich bin keine Krankenschwester. Ich kann nicht mal Blut sehen, und ich...« ihr Gesicht verzog sich vor Widerwillen, »ich will auch kein Blut sehen!« Der Arzt starrte sie an. In seinen Augen konnte sie deutlich lesen, was er von ihr dachte, aber das kümmerte sie nicht. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie wandte sich zu Maksim. »Maksim, versteh doch...«
Die Worte erstarben auf ihren Lippen. Diesmal konnte sie es nicht übersehen. Der Zug um Maksims Mund wirkte beinahe brutal in seiner Verächtlichkeit. »Ich verstehe durchaus«, entgegnete er kalt, »der Anblick dieser halbtoten Kerle gefällt dir nicht. Männer sollen elegant und schön sein, nicht in ihrem eigenen Blut und Eiter verrecken. Du willst ihnen winken, wenn sie in ihren sauberen, grauen Uniformen singend aus der Stadt ziehen, um sich irgendwo weit weg für Deutschlands Ehre zu schlagen, aber du willst nicht bereit sein, sie aufzunehmen, wenn sie mit zerfetzten Gliedern zurückkehren. Du willst das ganze Leben nur im Glanz von Kronleuchtern und Spiegelsälen sehen, und was mich freut, ist nur, daß dieser Krieg, der noch Jahre dauern wird, Leuten wie dir zeigt, wie die Welt wirklich ist. Die Zeit des Kaiserreiches ist vorüber. Ihr werdet schmelzen wie Wachs über einer Flamme!«
Felicia hörte ihm fassungslos zu. Sie kannte solche Reden von ihm, aber nie hatte sie ihn so wütend erlebt. Nie hatte er sie so schonungslos gekränkt. Ein böser, flammender Zorn erwachte in ihr, und er meinte weniger Maksim als die Tatsache, daß er der einzige Mensch auf Erden war, der sie so tief im Inneren treffen konnte.
»Du kannst vollkommen sicher sein«, fuhr sie ihn an, »ich zerschmelze nicht wie Wachs über einer Flamme. Ich niemals!
Ganz gleich, wie lang dieser Krieg dauert und was immer er bringt: Wenn einer von uns beiden vor die Hunde geht, dann bist du es! Und wenn du die vornehmen Damen lieber siehst, die gern Krankenschwestern spielen, weil sie sich damit wichtig und patriotisch vorkommen bitte sehr! Vielleicht siehst du ihre Verlogenheit nicht. Ich jedenfalls bin wenigstens ehrlich. Ich hasse den Krieg, und ich will nichts damit zu tun
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