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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Gelegenheit, die sie die furchtbare Fahrt von Königsberg nach Berlin vergessen ließ.
    Es war die Hölle gewesen. Sie hatte Verbände wechseln und Wunden auswaschen, Fliegen verjagen und Blut und Erbrochenes wegwischen müssen. Ihr Kreuz hatte geschmerzt, ihre Füße hatte sie kaum gespürt. Der Arzt fuhr sie mehrmals heftig an, ein irr gewordener Verwundeter ging ihr an die Kehle, und sekundenlang fürchtete sie um ihr Leben. Ein anderer Soldat starb ihr unter den Händen, was sie erst an den starren,weitaufgerissenen Augen merkte, die sie plötzlich blicklos anglotzten. Sie sprang auf und schrie, so lange, bis ihr aufging, daß sich kein Mensch darum kümmerte. Die anderen waren alle viel zu sehr mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt. Wie hielten sie das nur durch?
    Wahrscheinlich fühlten sie sich von einer heißen, patriotischen Flamme durchglüht, und das machte sie stark. Felicia hatte Frauen gesehen, die Heil dir im Siegerkranz sangen und dabei aussahen, als würden sie von einer Woge der Opferbereitschaft, der Hingabe an die Sache emporgeschleudert, denen die Tränen in die Augen schossen, deren Gesichter von einem strahlenden Leuchten verklärt wurden. Sie konnten den Krieg ertragen, indem sie ihn zu einem heiligen Kampf erhoben. Die Fahne war heilig, die Gewehre, das Blut, Tod, Gefahr, Angst, Flucht, Abschied waren heilig. Auch der Schmerz war heilig. Felicia hatte manchmal den Eindruck, sie sei der einzige Mensch weit und breit, dem die Geschehnisse der letzten Wochen Grauen und Alptraum bedeuteten.
    Sie war dem Fremden dankbar, daß er während des ganzen Abends weder Tannenberg noch den Namen Hindenburg erwähnt hatte. Sie kannte keinen Mann - außer Maksim - der darauf verzichtet hätte, ihr eine langwierige Analyse der Schlacht aus der letzten Augustwoche anzutun. Jeder sonst sprach davon.
    Tannenberg hatte das Feuer der Begeisterung neu und heftiger entfacht. Der Krieg war schon so gut wie gewonnen. Hindenburg hatte im Osten aufgeräumt. Und im Westen sah es auch nicht schlecht aus: Deutsche Siege bei Neufchâteau, Longwy, Montmedy, und jetzt standen die Deutschen an der Marne, die französische Regierung war nach Bordeaux geflohen. Ehe das Herbstlaub fiel, hieß es in diesen Tagen, ist der Krieg aus. Und jubelnd fiel die Bevölkerung in diesen optimistischen Chor ein.
    Alex Lombard redete nicht vom Krieg. Er erzählte von denReisen, die er gemacht hatte, von interessanten Menschen, von lustigen Begebenheiten. Ein leises Unbehagen bei Felicia rührte daher, daß sie seinen Zynismus nicht gewöhnt war und daß ihr seine Art, Menschen und Dinge, von denen er sprach oder die er ansah - also auch sie selber - auf eine merkwürdig grausame Weise bis ins Innerste zu sezieren, fremd war. Er liebte es, Schwächen bloßzulegen, Personen und Geschehnisse auf ihre Unvollkommenheit zu reduzieren. Seine Freude daran war von diabolischer Erbarmungslosigkeit, aber ganz unerwartet konnte er plötzlich mit einem warmen Lächeln seinen Worten die Schärfe nehmen. Er schien es als Spiel zu genießen - und Felicia haßte es, wenn mit ihr gespielt wurde.
    Ich glaube nicht, daß ich ihn je wiedersehen werde, dachte sie, als das Essen schließlich vorüber war und sie das Restaurant verließen.
    Draußen sagte Alex: »Diesen Abschnitt des Abends hätte Ihre Mutter gebilligt, Felicia. Die Frage ist - möchten Sie nach Hause, oder möchten Sie, daß wir nun an einen Ort gehen, von dem Ihre Mutter vielleicht besser nichts erfährt?«
    Felicia bekam große Augen. Alex mußte lachen. »Kind, sehen Sie mich nicht so an, ich will Sie ja nicht fressen. Ich will nur wissen, ob Sie mich in einen Nachtclub begleiten?«
    »O...« Felicia war nie in einem Nachtclub gewesen, aber insgeheim hatte sie es sich immer gewünscht. Nun stand sie hier in der Dunkelheit, irgendwoher klang leise Musik, und Lombard sah sie sehr intensiv an. Ihr Erlebnishunger siegte über ihr Unbehagen. Herausfordernd sah sie Alex an. »Natürlich«, sagte sie, »komme ich mit.«
    »Natürlich«, erwiderte Alex und winkte einem Taxi. Monas Etablissement lag in der Friedrichstraße, in der man am Tag einkaufen konnte, die bei Nacht aber ganz dem Amüsement gehörte. Musik dröhnte aus den Lokalen, gemischt mit Lachen, Schreien, Singen und Grölen. Überall branntenLichter, und es herrschte ebenso viel Leben wie am Tag - nur, daß es von anderen Gesetzen bestimmt war.
    Felicia schaute sich fasziniert um, nachdem sie aus dem Auto gestiegen waren. »Warum gerade

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