Sturmzeit
Sie ein Patriot?«
Alex verzog das Gesicht. »Nein. Ein Patriot bin ich nicht. Aber ich wäre lieber in den Krieg gezogen, als nach Hause zurückzugehen.«
»Weshalb?«
»Sie wollen alles ganz genau wissen, wie? Trinken Sie lieber noch einen Schluck und lassen Sie uns von etwas anderem reden.«
Felicia nahm einen tiefen Schluck, um gleich darauf das Gefühl zu haben, ein Feuerstrahl rinne ihr die Kehle hinauf undhinunter. »Ich mag keinen Whisky«, sagte sie angewidert, »und ich werde nie wieder welchen trinken!«
»Braves Mädchen! Dann habe ich Sie also nicht vom rechten Weg abgebracht?« Er selber trank in großen Zügen sein Glas leer.
»O hören Sie? Dieser Veteran am Klavier hat aufgehört, und Mona läßt das Grammophon spielen.« Er erhob sich. »Möchten Sie mit mir tanzen?« Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern nahm ihre Hand und zog sie mit zu der kleinen Tanzfläche vor der Theke. Sie waren die einzigen, die tanzten, und alle Blicke folgten ihnen. Einige Männer pfiffen anerkennend. Felicia stellte fest, daß Alex sehr gut tanzte und daß ihr sein Geruch nach Whisky, Tabak und Rasierwasser gefiel.
Sie tanzte mit entrückter Miene - was ein bißchen auch am Champagner vom Abendessen lag -, und als die letzten Töne verklangen, fragte sie unvermittelt: »Wie alt sind Sie eigentlich?«
Alex lachte. »Uralt. Über dreißig«.
»Ja?«
»Ja... ein gefährlich erfahrener Mann, wissen Sie.« Er betrachtete ihr Gesicht. »Vielleicht bringe ich Sie nun besser nach Hause!«
»Warum denn schon?«
»Nun... Schafe sollten gehen, wenn Wölfe anfangen hungrig zu werden.«
Das war ein Ton, den sie verstand. Der Fremde wurde ihr vertraut. Auf einmal war er nur noch ein Mann, der sich für sie interessierte. »Ich kann schon auf mich selber aufpassen«, sagte sie, drehte sich um und wollte zu ihrem Tisch zurückgehen. Sie blieb so abrupt stehen, daß Alex, der hinter ihr kam, beinahe über sie gestolpert wäre. Maksim Marakow hatte soebenin Begleitung einer fremden Frau Monas Etablissement betreten, und seine und Felicias Augen kreuzten sich in jähem Schrecken.
Alle vier standen sie einander gegenüber, und niemand wußte etwas zu sagen, nachdem die förmliche Vorstellung über die Bühne gegangen war.
»Alex Lombard aus München. Ein Freund von Phillip und Johannes.«
»Maria Iwanowna.«
Maria Iwanowna - weiter nichts? Wer ist sie, wo kommt sie her, seit wann kennst du sie, weshalb ziehst du mit ihr um diese Zeit durch die Stadt? Felicia schoß eine unausgesprochene Frage nach der anderen durch den Kopf, während sie die Rivalin aus schmalen Augen musterte. Eine hübsche Frau (aber ich bin hübscher!), etwas zu blaß, übernächtig, abgearbeitet. Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen, einen feinen, sehr energischen Mund, auffallend sensible Hände. Voll Wut registrierte Felicia, daß zwischen ihr und Maksim eine unübersehbare Vertrautheit herrschte.
Hilfesuchend sah sie sich nach Lombard um, aber der beantwortete ihren Blick nur mit einem anzüglichen Grinsen. Verdammter Kerl, er sah aus, als wisse er alles und fände es auch noch komisch. Mit brüchiger Stimme fragte sie: »Maksim, warum bist du wieder in Berlin? Als ich dich das letzte Mal sah...«
»...war ich noch ein treuer Kämpfer Seiner Majestät des Kaisers, ich weiß. Mein Arm macht Schwierigkeiten.« Er hob den Arm, und Felicia sah, daß er ihn noch immer bandagiert trug. »Eignet sich nicht mehr besonders zum Töten. Bis Weihnachten hab' ich erst mal Urlaub. Aber nach allem, was man hört, ist der Krieg bis dahin sowieso vorbei.«
Mascha verzog spöttisch das Gesicht. Felicia, mit der feinen Intuition einer Frau in ihrer Lage, erkannte: Sie ist genau wie er.
Das ist die Vertrautheit. Wahrscheinlich ist sie Sozialistin. Wahrscheinlich Frauenrechtlerin. Wahrscheinlich... Nicht weiter nachdenken! Es tat zu weh. Mit gespielter Lustigkeit wandte sie sich an Alex. »Wir wollen doch nicht wirklich schon gehen? Ich möchte erst noch einen Whisky trinken. Und noch mal tanzen!«
Sie umklammerte seinen Arm.
»Bestellen Sie mir noch einen Whisky, bitte!«
»Kind, Sie sollten...«
»Wenn Sie's nicht tun, tu ich's selber.« Sie winkte Mona:
»Einen doppelten Whisky für mich!«
Die Blicke der anderen ignorierend, kippte sie den Whisky hinunter wie Wasser. Ihr wurde himmlisch leicht und höllisch schlecht. Schwankend schleppte sie Alex zur Tanzfläche.
»Ich möchte jetzt tanzen!« Der Whisky ließ sie alles ganz weit weg sehen,
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