Sturmzeit
allem nichts zu tun haben. Ich wollte keinen Krieg, ich habe nie Begeisterung geheuchelt, und jetzt will ich es nicht ausbaden. Sollen sie ruhigalle über mich herziehen, ich gehe nicht!
»Nun?« fragte Auguste. Sie sah sehr kampfeslustig aus. Alle Augen richteten sich auf Felicia. Sie kam sich auf einmal wie gefangen vor und blickte sich hilfesuchend um. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre Fanny um den Hals gefallen, die herantrat und sie ansprach. »Es ist ein Herr für Sie unten in der Küche; gnädige Frau. Er möchte mit Ihnen sprechen.«
»In der Küche? Weshalb kommt er nicht her? Was ist das für ein Herr?« schoß Auguste sofort ihre Fragen ab. Aber Felicia, selig entwischen zu können, hatte sich bereits mit einer kurzen Entschuldigung abgewandt und verließ schnell den Saal.
»Er hat seinen Namen gar nicht genannt, sagt Jolanta«, plapperte Fanny draußen, »aber er ist wirklich ein Herr, das kann man nicht anders nennen, und wir hätten vielleicht etwas falsch gemacht, wenn wir ihn fortgejagt hätten, oder?«
»Es ist ja alles richtig so, Fanny.« Sie stiegen die Treppe in den Keller hinunter, wo sich die Küche befand.
Jolanta stand wie ein Drache neben der Tür und bebte vor Mißtrauen. Neben ihr stand ein Mann und betrachtete angelegentlich einen toten Karpfen, der mit geöffnetem Maul und großen, starren Augen mitten auf dem Küchentisch lag. Es war Maksim.
Instinktiv hielt sich Felicia gerade noch zurück, seinen Namen zu rufen; der Klang ihrer Stimme hätte sie verraten. Ihr Gesicht aber hatte sie nicht in der Gewalt, und sie spürte, daß ihr alles Blut aus den Wangen lief und ihre Augen groß wurden. Glücklicherweise schaute Jolanta nur zu Maksim hin, und Fanny stand hinter ihr und konnte sie nicht sehen. Maksim trug keine Uniform, der eine Ärmel seines Anzuges hing noch immer schlaff herunter. Er sah erschöpft aus, aber sein Blick war eindringlich und konzentriert.
»Ich hab' ja wirklich Glück, daß du noch wach bist, Felicia«, sagte er, »guten Abend!«
Jolanta zog die Augenbrauen hoch.
»Das ist... Maksim Marakow«, erklärte Felicia hastig, »ein Jugendfreund aus Insterburg. Wir kennen uns, seit wir Kinder waren.« Sie biß sich auf die Lippen. Ihre Erklärung war viel zu lang.
»Kann ich dich allein sprechen?« fragte Maksim ohne Umschweife. Sie bemerkte jetzt erst, wie nervös er war. Er folgte ihr die Treppe hinauf, durch die dunkle Halle in den kleinen Salon, in dem Besucher empfangen wurden. Aus dem Ballsaal klang schwach Musik. Felicia knipste das Licht an und lehnte sich von innen gegen die Tür, als wolle sie die ganze übrige Welt aussperren. »Maksim«, sagte sie, »ich...«
Er unterbrach sie hastig. »Mein Taxi steht noch draußen. Ich... äh, könntest du es wohl für mich bezahlen?«
Bei jedem anderen hätte sie eine spöttische Erwiderung auf der Zunge gehabt; jetzt aber fühlte sie sich nur etwas verwirrt.
»Natürlich. Nur...« Sie sah sich um. Sie trug natürlich kein Geld bei sich, aber glücklicherweise erspähte sie die große tönerne Schale auf dem Tisch, in der das Strickkränzchen seine Bußgelder sammelte. Mit beiden Händen griff sie in die Münzen. »Hier. Es müßte reichen.«
Maksim machte ein verblüfftes Gesicht. »Kleiner hast du es nicht?« Aber er nahm es und ging damit zur Tür. »Ich komme gleich wieder. Warte auf mich.«
Als er zurückkam, schloß er die Tür sorgfältig. Wieder nahm er sich keine Zeit für einleitende Worte. »Das war leider nicht alles«, sagte er, »Felicia, ich brauche Geld.«
»Geld?« Wovon sprach er? Seit wann brauchte Maksim Geld?
»Ja, Geld«, erwiderte er ungeduldig, »einhundert Goldmark. Kannst du mir die leihen?«
»Ich verstehe nicht...«
»Ich kann im Augenblick nicht an meine Konten heran - ausbestimmten Gründen sind sie von der Regierung gesperrt. Das muß dir als Erklärung genügen. Also, kann ich es haben?«
Wenn er könnte, würde er es aus mir herausschütteln, dachte Felicia. Was er sagte, drang nur wie durch eine Wand von Watte zu ihr. Sie konnte sich beim besten Willen nicht auf seine Worte konzentrieren; sie konnte nichts darauf erwidern; sie konnte ihn nur betrachten und jede einzelne vertraute, geliebte Linie seines Gesichtes verfolgen, so eindringlich, als sei es das letzte Mal, daß sie ihn sah.
Er wird ein anderer werden, ging es ihr unbestimmt durch den Kopf, für mich wird er ein anderer werden, weil unsere Erinnerungen, das, was wir gemeinsam hatten und was uns verbindet,
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