Sturmzeit
so sehnsüchtig anblickt! Na komm, lächle ihm zu!«
Brüsk wandte sie sich ab und lächelte den Fremden an. Sogleich war er bei ihr und bat sie um den nächsten Tanz. Warte nur, dachte Felicia grimmig, ich kann jeden Mann im Saal haben, und dich lass' ich schmoren!
Sie flirtete so heftig und aggressiv mit jedem Mann, der ihren Weg kreuzte, daß da und dort bereits Geraune laut wurde. Auguste lehnte sich zu Lydia hinüber. »Sie treibt es ein bißchenweit, Lydia, findest du nicht?«
Die sanfte Lydia dachte nie etwas Schlechtes von anderen Menschen. »Sie wird sich sagen, daß alle diese Männer bald wieder in ein Ungewisses Schicksal gehen. Und daß sie die Erinnerung an das Lächeln einer schönen Frau bitter nötig haben werden.«
Auguste, weit weniger gutgläubig, schnaubte verächtlich.
»Lächerlich, von Felicia Lombard etwas Gutes zu denken. Das Mädchen ist kalt bis ins Herz und wird es immer bleiben. Ich sage dir, Lydia, Felicia kennt niemanden als sich selbst. Und sie...« Augustes Stimme klang wie ein Grollen, »sie hat etwas Verdorbenes an sich!«
»Aber schau nur, wie glücklich Kat aussieht«, sagte Lydia, die nicht gern lästerte, rasch, »sie hat bereits den ganzen Abend nur mit ihrem Offizier getanzt!«
»Ich frage mich, warum erst Alex und nun auch noch sie sich ihre Auserwählten in Berlin suchen müssen. Als ob wir nicht genug passende Partien in München hätten!« Auguste betrachtete alles, was sich jenseits der Donau abspielte, mit größtem Mißtrauen. »Kat sollte Tom Wolff heiraten. Er will sie doch unter allen Umständen!«
»Aber Auguste!« Lydia war entsetzt. »Der ist nicht standesgemäß!«
»Standesgemäß! Standesgemäß! Er hat eine glänzende Zukunft vor sich. Dieser Tom Wolff wird eines Tages steinreich sein. Die Frauen werden sich schon bald alle Finger nach ihm lecken!«
»Kat hat es nicht nötig, auf Geld zu sehen.«
»Vielleicht doch einmal. Ihr Vater lebt nicht ewig, und Alex...« Sie schwieg, aber es war allzu deutlich, was sie über Alex dachte. Sie hielt den Alkohol für das größte Laster der Menschheit, und da jeder Alex' bedauernswerte Neigung zu harten Getränken kannte, gab sie keinen Pfifferling mehr aufihn. »Ach«, sagte sie und kniff die Augen zusammen, »ist dort nicht überhaupt Wolff? Es ist schon befremdlich, mit welcher Gelassenheit er sich in unseren Kreisen bewegt!«
Gelassenheit war in Wirklichkeit das letzte, was Wolff in diesen Minuten empfand. Er fühlte sich unbehaglich, bemerkte sehr wohl, daß er hochgezogene Brauen und Stirnrunzeln hervorrief, und versuchte, seine Unsicherheit hinter einer hochmütigen Miene zu verbergen, was ihm an diesem Abend weniger denn je gelang.
Pack, dachte er zornig, eines Tages sollen sie bluten dafür!
Seit dem Tag, da er, der bettelarme Bauernsohn aus dem Bayerischen Wald, dem verarmten Anwesen seines versoffenen Vaters und seiner schwindsüchtigen Mutter den Rücken gekehrt und den festen Entschluß gefaßt hatte, reich zu werden, hatte ihn die Münchener Geldaristokratie mit Gleichgültigkeit, Spott oder verletzender Herablassung behandelt. Es kümmerte sie wenig, daß er härter arbeitete als einer von ihnen und daß er sein Geld mit einer Verbissenheit hortete, die dem größten Geizhals der Welt noch Ehre gemacht hätte, im Gegenteil, sie lachten noch darüber. Wolff schwieg, aber er notierte sich jedes hochmütige Lächeln, jede Zurückweisung, jeden Fußtritt, den er einstecken mußte. Irgendwann, das war der einzige und unerschütterliche Glaube seines Lebens, irgendwann würde seine Zeit kommen. Er war cleverer als sie, durch seine Adern floß frisches Blut, Körper und Geist hatten sich nicht über Jahrhunderte hinweg in genußreichem Wohlleben, in weichen Sesseln verschlissen. Er war wach. Er konnte warten. Sich erinnern. Sich rächen. Er entdeckte Felicia, die sich zwischen zwei Tänzen ausruhte und einen der von Jolanta für das Fest gebackenen Pfannkuchen verzehrte. Jolanta hatte geflucht und gestöhnt, weil sie nicht wußte, wie sie mit ihren Lebensmittelmarken auskommen sollte, und nur unter Aufbietung aller kochkünstlerischen Raffinessen war es ihr geglückt, aus nichtvorhandenen Vorräten eine Art Teig herzustellen, den sie so lange streckte, daß eine stattlicheAnzahl Pfannkuchen dabei herauskam. Da sie praktisch kein Fett verwandte, bröselte das Gebäck schon, wenn man es nur ansah, und nachdem jeder Gast einmal die Peinlichkeit durchlebt hatte, nach dem Essen eines Pfannkuchens
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