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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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notwendigen Befehle hervorbrachte. »Zurück! Wir geben die vorderste Linie auf!
    Zurück!!«
    Im Kugelregen und Granatenhagel krochen die Soldaten rückwärts. Es hatte zahllose Leben gekostet, die paar Meter zu gewinnen, es würde ebenso viele Leben kosten, sie wieder zu verlieren. Christian schob sich wie eine Schlange auf dem Bauch nach hinten, das Gewehr eng an sich gedrückt, mit den Füßen den Weg ertastend. Der Verwundete von vorhin hatte nach kurzem Schweigen wieder zu schreien begonnen. Er war also immer noch nicht tot, vielleicht hatte nur eine kurze Bewußtlosigkeit zu seinem Verstummen geführt. Ob es irgend jemandem gelang, ihn mitzunehmen? Vielleicht schrie er deshalb jetzt so mörderisch, weil sie an ihm herumzerrten und ihn zurückzuschleifen versuchten. Es würde ihnen nicht viel Zeit bleiben, ihn zu retten. Das Nachrücken der Franzosen glich nun einem Orkan.
    Der schwarze Rauch, der sich über die Erde senkte, nahm jede Sicht. Christian mußte sich konzentrieren, um die Richtung beizubehalten. Vor seinen Augen drehte sich alles. Als dicht vor ihm eine Granate einschlug, fiel sein Gesicht in den Schlamm, seine Hände schlossen sich unwillkürlich über seinem Kopf, um ihn zu schützen. Er merkte, wie ihm die Tränen aus den Augen brachen. Mit letzter Kraft schob er sich zurück und glitt in denSchützengraben, der die zweite Linie der Front bildete. Er brauchte einige Minuten, um genügend Energie zu finden, sich umzusehen. »Jorias?« rief er leise, aber niemand antwortete. Der Qualm verzog sich, er konnte andere Soldaten neben sich erkennen, aber Jorias war nicht unter ihnen.
    »Jorias!« Er wußte genau, daß sie eben noch dicht beieinander gewesen waren.
    Wo, auf diesen wenigen Metern, waren sie getrennt worden?
    Ihm fiel die Granate ein, die in allernächster Nähe eingeschlagen war. So schnell er konnte, eilte er auf allen vieren hinter seinen Kameraden durch den Schützengraben. »Jorias!
    Hat einer von euch Jorias gesehen?«
    Rußgeschwärzte Gesichter wandten sich ihm zu. »Nein. Bleib auf deinem Platz! Bist du denn verrückt, hier so herumzutoben?«
    »Ich glaube, den Jorias hat's erwischt«, sagte ein blonder Junge, der aussah wie fünfzehn, »der ist liegengeblieben.«
    Gewehre krachten. Alle duckten sich. Beinahe verwundert betrachtete der blonde Junge seinen rechten Arm, aus dem plötzlich ein heller Blutstrahl schoß. Mit einem verwirrten Seufzer kauerte er sich nieder und wurde schneeweiß im Gesicht.
    Christian kroch zu seinem alten Platz. Auf dieser Höhe mußte Jorias liegen.
    In dem namenlosen Entsetzen, das ihn plötzlich ausfüllte, schien die Angst keinen Raum mehr zu finden. Er konnte nur an Jorias denken, jeder Herzschlag rief ihm den Namen des Freundes zu, jeder Atemzug gab ihm die schreckliche Gewißheit, daß die Zeit verstrich und daß es Jorias' Leben sein konnte, womit jedes Zögern bezahlt werden mußte. Er kroch aus dem Schützengraben hinaus, in den er sich gerade noch geschleppt hatte wie in die letzte Höhle der Welt. Jemand rief entsetzt: »Bleib hier! Ist der denn verrückt geworden?«
    »Jorias ist draußen«, erwiderte ein anderer.
    »Aber der ist längst...« Das Pfeifen der Gewehrkugeln zerrißStimmen und Worte. Christian kroch weiter, hinein in eine brodelnde, schwarze, mörderische Hölle. Die Franzosen schossen ohne Unterlaß, die Deutschen standen ihnen um nichts nach. Jede Sekunde detonierte eine Granate, und kein Mensch wußte mehr, von welcher Seite sie kam. Gerade auf der Linie, wo sich die Bombardements beider Gegner trafen, lag Jorias. Christian sah ihn erst, als er schon beinahe gegen ihn stieß. Jorias lag langgestreckt auf der Erde, seine Arme standen in seltsamen Winkeln vom Körper ab. Die Granate - es mußte die gewesen sein, die Christian beinahe die Nerven hatte verlieren lassen - hatte ihm beide Beine abgerissen. Sie waren fort, einfach fort, als seien sie nie dagewesen. Jorias schwamm buchstäblich in seinem eigenen Blut, und er gab nicht die leiseste Regung mehr von sich. Christian spürte, wie sich Betäubung in ihm ausbreitete. Vollkommen ruhig griff er nach Jorias' Händen, zog den Freund zu sich heran, schleppte ihn so zäh und unermüdlich und unnachgiebig durch den Feuersturm, wie eine Ameise eine zu groß geratene Beute zu ihrem Bau trägt. Er ist tot, er ist tot, hämmerte es in ihm, aber die Erkenntnis setzte sich nicht bis zu jener Stelle seines Gehirns fort, wo sie ihm eine Wunde gerissen und ihn in einen Strudel des

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