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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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fragte sich gleich, wie lange es dauern würde, bis eine von ihnen herausfiele, aber dafür hatte man hier oben das Gefühl, etwas freier atmen zu können als unten.
    Es herrschte ein erstickender Gestank in der Baracke. Jedesmal, wenn Felicia den Raum betrat, hatte sie erneut das Gefühl, sie werde es nicht ertragen. »Lieber Gott«, sagte sie nach der ersten Nacht, während der sie kein Auge zugetan hatte, weil die unruhig sich umherwälzende Kat sie mehrmals fast in den Abgrund gestoßen hätte, »ich halte das nicht länger als einen Monat aus. Ich muß unbedingt, so schnell wie möglich, von hier fort!«
    »Wird so schnell nicht gehen, Schätzchen«, meinte die Frau im Bett nebenan. Sie hatte ein feistes, aufgequollenes Gesicht, derbe Züge und das dünne, blonde Haar voller selbstgebastelter Lockenwickler. »Bin schon seit Kriegsausbruch hier. Komme aus Deutschland, war hier in Stellung. Haben mich gleich interniert, und seitdem sitze ich hier fest. Ist die größte Scheiße, die mir je vorgekommen ist, das kann ich nur sagen!«
    »Ich war Krankenschwester«, sagte Felicia, »bei der letzten großen Offensive haben sie den Lazarettzug geschnappt, den ich begleitete. Ich verstehe nicht, wie die eine Rot-Kreuz-Schwester hier festhalten können!«
    »Warum nicht, Baby?« Gemütlich seufzend suchte sich die Frau eine bequemere Stellung in ihrem Bett. »Was'n der Unterschied zwischen 'ner feinen Schwester wie dir und 'ner Schlampe wie mir? Für die Russen gar keiner, merk dir das!
    Nur, daß die 'ne Schwester noch besser brauchen können.« Sie kicherte, dann fuhr sie in vertraulichem Ton fort: »Hier sind viele, die probieren's auf jede Weise, verstehste, mehr Essen und so! Siehst du die Rothaarige da drüben?«
    Felicia gewahrte eine junge, rothaarige Frau, die sich recht üppiger Körperformen erfreute. Sie war gerade aus ihrem Bett gestiegen und kratzte sich ihre Flohstiche.
    »Hier gibt's einen Aufseher, und mit dem treibt sie's jeden Abend«, flüsterte die Alte, »das ganze Lager weiß es! An der hinteren Wand von der Küchenbaracke. Ruckzuck, verstehst du?
    Jeden Abend, kannst du dir das vorstellen?«
    Unüberhörbarer Neid schwang in ihrer Stimme. »Dafür verspricht er ihr seit einem halben Jahr, daß sie bald freikommt«, setzte sie düster hinzu, »aber haben die Männer je gehalten, was sie versprechen?«
    Felicia grauste es . Dann bemerkte sie den entsetzten Ausdruck auf Kats Gesicht. »Erzählen Sie doch nicht solche Geschichten!« fuhr sie die Alte an. »Dieses Mädchen hier ist gerade erst siebzehn! Sie erschrecken sie ja zu Tode.«
    »Siebzehn? Ah - und wohl aus 'ner feinen Familie, was? Wird sich hier an manches gewöhnen müssen, das arme Ding!«
    Kat, zeitlebens verwöhnt, umsorgt, von ihrem Vater und ihrem Bruder beschützt, schien, seitdem sie das Lager betreten hatte, wie in einem bösen Traum gefangen.
    Alles ängstigte sie: der Stacheldraht, die barschen Stimmen der Aufseher, der vertrauliche Blick und die aufdringlichen Finger des dicken Kochs, das vulgäre Lachen der rothaarigen Graziella, wenn die abends mit ihrem Uniformierten hinter der Küchenbaracke verschwand.
    Wie eine verirrte kleine Katze klammerte sie sich an Felicia, und die nahm es auf sich, daß sie von nun an für zwei Menschen sorgen mußte. Jener klare, gesunde Sinn, der es ihr stets verbot, ihre Kräfte im Kampf mit dem Unausweichlichen zu verschleißen, befahl ihr, die Tage im Lager nicht zu zählen, weder auf das zurückzublicken, was vergangen war, noch sich in Träume von einer besseren Zukunft zu flüchten. Man trachtete ihnen hier nicht nach dem Leben, aber Felicia erkannte bald, daß der Tod zwischen dem Stacheldraht auf der Lauer lag und daßsie alle bereits eine potentielle Beute abgaben. Sie durfte an jedem Morgen an nichts anderes denken als an den Tag, der vor ihr lag und den sie nach besten Kräften überstehen mußte. Sie durfte nicht an ihren Vater denken und nicht an Maksim, ihre Mutter, ihre Brüder, jetzt mußte sie ihre Sinne beisammenhalten. Sie mußte ihren Ekel betäuben, wenn sie morgens in der langen Schlange von Frauen an den Toiletten anstand, die höchstens einmal im Monat gesäubert wurden und von Fliegenschwärmen belagert waren. Und kurz darauf stand sie erneut in einer Schlange, vor der Küchenbaracke diesmal, eine Blechschüssel in der Hand, die von Anna, ehemalige Metzgerin und gefürchtetste Aufseherin im Lager, mit einem scheußlichen klebrigen Pamps gefüllt wurde, dessen einzelne

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