Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
Vom Netzwerk:
Bestandteile beim besten Willen nicht mehr auszumachen waren.
    Eisern zwang sie sich, das Frühstück bis zum letzten Krümel hinunterzuwürgen. Und sie zwang Kat. »Wir halten hier nur durch, wenn wir essen«, sagte sie, »also iß! Mir ist auch schlecht, aber du siehst, es geht.«
    »Aber ich kann wirklich nicht«, protestierte Kat mit schwacher Stimme. Sie war schon ganz hohläugig und hatte eine ungesunde graue Gesichtsfarbe. »Ich müßte mich sofort übergeben!«
    »Du übergibst dich nicht. Mir ist es auch nicht passiert. Und jetzt stell dich nicht so an«, sagte Felicia kalt. Kat wagte keine Widerrede mehr. Sie schluckte krampfhaft; ihr spitzes Gesichtchen spiegelte Angst und Verzweiflung. Felicias Gewissen regte sich. Sie ging zu hart um mit Kat. Aber es war jetzt nicht die Zeit für Sanftmut und Freundlichkeit. Und sorgte sie nicht für ihre Schwägerin, so gut sie nur konnte? Boxte sie sich nicht jedesmal in der Schlange nach vorne, damit sie beide noch genug zu essen bekamen; schlug sie sich nicht mit viel stärkeren Frauen um das frische Stroh, damit Kat weicher liegen konnte? Und wies sie nicht sogar den fetten Koch in seine Schranken, wenn er bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Finger an Kats Arme oder Beine legte? Zu diesem Zweck gewöhnte sie sich eine Sprache an, die niemand in ihrer Familie (außer Laetitia) für möglich gehalten hätte.
    »Nimm deine dreckigen Pfoten weg, du verdammter Bastard!« sagte sie - und es machte ihr Spaß.
    Dann brach im Lager der Typhus aus. Es war Ende September, die Abende schon kühl, die Tage nochspätsommerlich warm. Felicia hatte Küchendienst gehabt und fast bis zum Umfallen Kartoffeln geschält - harte, weißliche Kartoffeln, an allen Ecken und Enden bereits angefault. Die Finger taten ihr weh, die Füße spürte sie schon kaum mehr. Sie saß auf dem Bett und kämmte Kats Haare. Draußen war es dunkel, und vor dem feuchten Nebel, der über der Erde lag, hatten die Frauen die Tür geschlossen.
    Felicias blonde Nachbarin, die Lola hieß, räkelte sich auf ihrem Bett herum und drehte ihre Haare auf die unvermeidlichen Lockenwickler. »Ich hab gehört, 'n paar von uns sollen in eine Fabrik kommen«, verkündete sie, »Munition. Schöner Dreck, was? Daß wir noch die Gewehre basteln, mit denen die dann auf unsere Soldaten schießen!«
    »Eine Fabrik wäre gar nicht schlecht«, sagte Felicia nachdenklich.
    Lola lachte. »Bilde dir nichts ein, Herzchen! Da kommst du auch nicht eher weg als hier.«
    »Irgendwann müssen sie uns freilassen«, beharrte Felicia,»wir sind schließlich keine Soldaten! Was die machen, ist bestimmt verboten.«
    Jetzt lachte Lola schallend. »Glaubst du, in diesen Zeiten kümmert das irgendwen, was verboten ist und was nicht?« Mit einem schlauen Funkeln in den Augen fügte sie hinzu: »Du bist eine von denen, die immer glauben, die Welt dreht sich um sie, und wenn's ihnen mal dreckig geht, dann müßte gleich der liebe Gott herbeistürzen und ihnen helfen. Tut er aber nicht! Hier kräht kein Hahn nach dir, Schätzchen.«
    »Red keinen Unsinn«, gab Felicia kurz zurück. Aber Lola verfolgte schon den nächsten Gedanken. Sie hatte sich die Haarefertig aufgedreht und betrachtete sich in einem kleinen Handspiegel. Was sie sah, befriedigte sie offenbar. »Nicht schlecht. Ich sag immer, eine Frau sollte in jeder Lebenslage gepflegt aussehen. Sonst rennen ihr die Kerle davon.«
    Nachdenklich stülpte sie die Lippen vor. »Ob mein Alter mir treu ist die ganze Zeit?«
    »Du bist verheiratet?«
    Lola nickte stolz. »Klar. Mit 'nem feinen Kerl. Sieht verdammt gut aus. Die anderen Mädels waren immer scharf auf den. Aber ganz ohne Frau hält der es nicht aus. Ist wild und stark, weißt du?« Lolas Augen leuchteten in der Erinnerung an vergangene Tage. »Na ja, wenn er zu 'ner Nutte geht, das soll mir recht sein. Darf nur nichts Ernstes werden.«
    Die Tür wurde aufgestoßen, ein Schwall feuchter Luft drang herein. Die rothaarige Graziella kam von ihrem allabendlichen Rendezvous zurück. Ihre Locken waren naß vom Nebel, ihr graues Leinenkleid zeigte feuchte Schweißflecken. Sie sah müde und blaß aus, und ihre schrägen, grünen Augen funkelten nicht wie sonst.
    »Tür zu!« schrie eine Frau. »Es zieht!«
    Graziella schloß schwerfällig die Tür und lehnte sich von innen dagegen. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen. Lola hängte ihren Kopf über den Bettrand und betrachtete sie neugierig. »Alle Achtung, Graziella«, sagte sie, »du siehst

Weitere Kostenlose Bücher