Sturz Der Engel
gebaut haben. Das Instrument klingt nicht so voll und sauber wie dieses hier, aber es reicht.«
»Warum willst du sie das Lied lehren?«
»Warum denn nicht?«, antwortete Ayrlyn. »Oder, wie viele unzuverlässige Menschen immer wieder gesagt haben: ›Vertrau mir.‹«
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.« Er stand auf. »Aber es ist ein schreckliches Lied. Ein großer Magier? Du machst Witze.« Er überlegte kurz und fragte: »Ist es nicht zu gefährlich für dich, da draußen Handel zu treiben?«
»Es ist ungefähr so gefährlich wie hier zu sitzen und auf den nächsten Angriff zu warten. Ich muss eben aufpassen. Ich habe eine halbwegs klare Vorstellung, wo dieser Fürst Sillek seine Garnisonen stationiert hat, und wir weichen den größeren Städten aus.«
»Ich weiß nicht, es gefällt mir nicht.« Er schüttelte den Kopf.
»Mir wird schon nichts passieren.«
»Pass gut auf dich auf.«
»Mach ich.«
»Und versuche ja nicht, dieses Lied zu verbreiten.«
»Aber es ist nun mal ein schönes Lied.«
»Ich bitte dich trotzdem, es vorläufig nicht zu singen.« Am besten singt sie es erst, wenn ich tot bin, und das wird hoffentlich noch eine Weile dauern, fügte er bei sich hinzu.
»Wenn ich es Istril gelehrt habe … werden wir darüber nachdenken.«
»Bitte nicht.« Nylan runzelte die Stirn. »Ich sitze schon zu lange hier herum. Ich muss mir etwas zu trinken besorgen und dann aus einem Landefahrzeug eine Platte ausbauen, die ich in primitive Vernichtungswaffen verwandeln kann.«
»Viel Glück.« Ayrlyn stand auf. »Ich gehe jetzt zu den Holzfällerinnen. Es ist schon erstaunlich, wie Erfahrungen die Ansichten der Menschen verändern. Nach dem kalten letzten Winter denken alle nur noch daran, auch ja genug Holz für den nächsten Winter zu fällen. Das hat ihnen mehr zu schaffen gemacht als die knappen Rationen.«
»So knapp war das Essen gar nicht. Wie stehen wir jetzt da?«
»Die Pferde und die Ratschläge unserer einheimischen Rekruten haben sehr geholfen. In den Wäldern gibt es erheblich mehr, als wir vermutet haben.« Ayrlyn zuckte mit den Achseln. »Im Augenblick stehen wir ganz gut da, aber wir brauchen eine Menge Geld für neue Vorräte.«
Nylan ging den Hügel hinauf. Er spürte Ayrlyns Blicke im Rücken.
XCII
H issl blickt auf die Kerze, dann starrt er nach draußen in die Dunkelheit. Eine Lampe im Hof vor der Kaserne wirft einen schwachen Lichtkreis auf die Holztreppe, die zu seinem Quartier führt.
Er betrachtet den Becher auf dem Tisch. Der Wein ist beinahe schon umgeschlagen, obwohl Hissl die Flasche vor weniger als einem Tag geöffnet hat. Dann sieht er wieder aus dem Fenster. In Korics Kammer, die auf der anderen Seite des Hofes liegt, sind die Fenster dunkel.
»Wieder mit seiner Frau unterwegs«, schnaubt Hissl. »Er hat die Macht und seine Frau. Terek reitet neben Sillek, aber ich … ich darf hier auf einen Angriff warten, der niemals kommen wird. Nicht, solange ich hier bin. Nicht solange Ildyrom weiß, dass ich hier bin.«
Er füllt den Becher aus der Flasche nach und trinkt ihn zur Hälfte aus, dann verzieht er das Gesicht.
Er fühlt sich auf einmal etwas unbehaglich und betrachtet das flache Glas auf dem Tisch. Ohne den halb vollen Becher noch eines weiteren Blickes zu würdigen, geht er zur Tür.
Eine große Gestalt huscht geschmeidig, aber nicht sonderlich verstohlen die Treppe herauf, gefolgt von einer zweiten, kleineren Gestalt.
Hissl legt die Hand an den Dolch, zieht ihn aber nicht blank, als die beiden sich nähern. Vielmehr hält er ihnen die Tür auf und wartet.
Der Mann, der als Erster kommt, füllt den Türrahmen fast völlig aus. Er überragt Hissl und den kräftigen uniformierten Kämpfer, der ihm folgt, um einiges.
»Ich habe gehört, Ihr wolltet mich sprechen, Magier?«, fragt der Besucher mit starkem Akzent. Der große Mann trägt trotz des kühlen Abends nur ein ärmelloses Hemd, aber seine Stirn ist feucht und sein Gesicht scheint auch im Zwielicht erhitzt.
Hissl nickt. »So ist es. Doch was könnte ein Krieger, ein echter Krieger vom Dach der Welt, von einem armen Magier wollen?«
»Euch helfen, Euer Glück zu finden. Verhindern, dass die Welt verändert wird. Euch eine ruhmreiche, mächtige Position verschaffen.« Der große Fremde schaut zum Tisch, zum Weinglas und zum flachen Spähglas. »Dürfen wir eintreten?«
»Aber natürlich.« Hissl weicht zurück und verneigt sich ebenso tief wie ironisch. »Meine bescheidenen Gemächer
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