Sturz Der Engel
Erker nieder, wo die Fürstin Ellindyja mit Sticken beschäftigt ist.
»Ihr erweist mir die Ehre, Herrin«, sagt Ellindyja.
»Ihr seid die Herrin von Lornth«, erwidert Zeldyan artig.
»Nicht mehr. Dieser Titel ist jetzt der Eure, aber es ist sehr aufmerksam von Euch, mich an meine früheren Ehren zu erinnern.« Die Nadel sticht einen roten Faden in den weißen Stoff. »Wie kann ich Euch helfen?«
»Ich dachte, Ihr würdet es gern sofort erfahren. Eine Botschaft von Fürst Sillek ist gekommen, Herrin«, erwidert Zeldyan.
»Und Ihr wart so aufmerksam, sogleich zu mir zu kommen, und das in Eurem Zustand. Auch das weiß ich zu schätzen.« Ellindyja verknotet den roten Faden und führt einen grünen durch die Öse der Nadel.
»Es geht mir gut, ich bin nur noch etwas wund und das wird bald vorbei sein. Nesslek ist stark und gesund und darüber freue ich mich sehr.« Zeldyan lacht. »Aber ich schweife ab. Fürst Sillek hat die Furt am Hauptarm des Flusses eingenommen und nähert sich Rulyarth. Der Nachricht zufolge haben sie fast tausend Suthyaner getötet und weniger als diese Zahl steht noch unter Waffen, um Rulyarth zu verteidigen. Die Stadt wurde übrigens nie mit einer Mauer umgeben, müsst Ihr wissen«, fügt sie gesprächshalber hinzu.
»Das habe ich schon einmal irgendwo gehört«, stimmt Ellindyja zu. »Wie ich sehe, versteht Ihr etwas von derlei Dingen. Es ist sicher hilfreich, dass Ihr auf dem Anwesen eines ehrenhaften Kriegers aufgewachsen seid.«
»Ich hatte Glück«, sagt Zeldyan, indem sie sich etwas anders zurechtsetzt. »Meine Mutter war eine gebildete Frau und hat meinen Vater und die Kinder unterrichtet. Mein Vater war erfahren im Umgang mit Waffen und hat meine Mutter und uns Kinder gelehrt, die Ehre und die Waffen zu achten.«
»Er hat der Fürstin Erenthla das Kämpfen mit Waffen beigebracht?« Ellindyja hebt die Augenbrauen.
»Aber natürlich. Er wollte keine hilflose Frau auf seinen Besitzungen wissen.« Zeldyan steht lächelnd auf. »Ich muss jetzt gehen, aber ich wollte Euch unbedingt berichten, dass Fürst Sillek wohlauf ist.«
»Ich danke Euch für die Aufmerksamkeit, meine Dame.«
Zeldyan neigt den Kopf.
Als die Tür sich hinter ihr schließt, reißt Ellindyja den grünen Faden ab und verknotet ihn mit raschen, unwirschen Bewegungen.
XCI
D ie Legierung verfärbte sich und wurde in der Hitze der Kohlen allmählich hellrot. Über der offenen Tür der immer noch nicht zu Ende gebauten Schmiede brummte eine Fliege und kreiste um den schwitzenden Schmied-Ingenieur.
Pfeilspitzen! Nylan war die Pfeilspitzen mehr als leid, obwohl Istril und Fierral seine Arbeit sehr gelobt hatten. Fast zweihundert waren inzwischen fertig. Nylan lächelte. Das bedeutete, dass Fierral und die Marineinfanteristinnen zweihundert Pfeilspitzen abschmirgeln und schärfen, auf Pfeilschäfte stecken und die Schäfte mit Federn versehen mussten – und dies wiederum bedeutete, dass sie mit Netzen Vögel fangen mussten. Relyn hatte sich in dieser Hinsicht als Hilfe erwiesen, weil er wusste, wie man Netze aufspannte, damit man möglichst viele Vögel fing.
Mit der Zange warf Nylan das rotglühende Metallstück auf den inzwischen arg verbeulten behelfsmäßigen Amboss und formte mit Hammer und Meißel eine weitere Pfeilspitze, während Huldran die Zange hielt.
Der Hammer hob sich und fiel nieder und Nylan setzte nach jedem Schlag den Meißel ein Stück weiter. Als die erste Pfeilspitze grob vorgeformt auf dem Amboss lag, schnitt Nylan sogleich die nächste aus. Er konzentrierte sich darauf, der verborgenen Körnung des Metalls zu folgen, und ließ sich eher von den Sinnen als vom Auge leiten.
Das Ergebnis waren bessere Pfeilspitzen, die sich aber untereinander ein wenig unterschieden – nicht stark genug, hoffte Nylan, um die Flugeigenschaften zu beeinflussen.
Durch die Dachbalken schien die Sonne in die Schmiede, dass Nylan der Schweiß in kleinen Bächen übers Gesicht lief. Er wedelte zweimal eine Fliege weg, bis sie zur Wiese summte und sich den stinkenden Schafen zuwandte, von denen sie wahrscheinlich herübergekommen war. Nylan blinzelte, als ihm etwas Schweiß ins Auge lief. Während er und Huldran beim Schmieden waren, kümmerten Cessya und überraschenderweise auch Nistayna sich darum, die Dachbalken aufzusetzen. Das Dach selbst musste warten, bis der Schmiedeofen ganz zu Ende gebaut war.
Jeden Tag nach der Schmiedearbeit mischte Nylan etwas Mörtel und baute an der Haube und dem Kamin des
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