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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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öffentlich darüber reden, für wen er mehr als fünf Jahre gearbeitet hatte, sollte er wirklich vorhaben, Kontakt mit seinem Kind aufzunehmen. Dieses Kind, das für sie gestorben war und hoffentlich ein gutes Leben hatte;
Ende der Sentimentalitäten
.
    Sie sah ihn vor sich. Sein immer noch kräftiges, immer etwas zu langes Haar, die grauen Schläfen. Er war apart gekleidet, er war redegewandt. Sein Körper war drahtig, ein drahtiges Stehaufmännchen, jedenfalls war das die Gestalt, in der sie in den ersten Jahren nach der Wende an ihn dachte.
    Seine Redegewandtheit und seine legere Art mussten Vertrauen erweckt haben bei westdeutschen Aufbauhelfern, die sich nicht auskannten, die mit der verhuschten Vorsicht ihrer neuen Kollegen im Osten nicht umgehen konnten, was sie bis zur Arroganz reizte, und die froh waren über einen wie Ton, über einen mit
Stabserfahrung
, wie es hieß, der die Dinge auf dieselbe Weise in die Hand zu nehmen schien wie sie. Jedenfalls glaubten sie, sie nähmen die Dinge in die Hand, und wie sie Ton kannte, ließ er sie in diesem Glauben. Er
mauschelte mit
, wie sie früher gesagt hätte. Einer wie Ton hatte da keine Hemmungen. Er wusste, wie man Verbindungen knüpfte und aufrechterhielt und sie nutzte. Hier ein Gefallen, da ein passender Anruf, auf Empfängen immer die aalglatte aufgeblasene Zerstreutheit, die signalisierte, was für ein Kotzbrocken man war, und dort, wo früher Mangelwaren getauscht und vermittelt wurden, Klempner, Ersatzteile, gute Ärzte, eine Datsche am See, war heute Geld im Spiel und manchmal immer noch eine Datsche am See.
    Das Leben ist viel zu lang
, hörte sie ihn sagen,
der reine Wahnsinn, darauf nicht hundertprozent Einfluss zu nehmen
.
    Den Fuß in der Tür haben.
    Den Ball am Laufen halten.
    Aktiv sein.
    Ein
Mover und Shaker
, wie er wahrscheinlich heute sagte. Einige seiner früheren Kollegen hatten es auf die gleiche Weise versucht wie er. Aber sie hatten auf die falschen Verbindungen gesetzt, sie waren zu eifrig gewesen, hatten sich von Immobilienhaien hereinlegen oder von Investitionen in die falschen Papiere verlocken lassen, oder sie hatten sich bei Deals mit Autokonzernen übernommen. Sie hatten nicht den richtigen Riecher gehabt. Ton hatte den richtigen Riecher. Sie war sicher, dass er nicht nur wusste, wohin das Geld aus den Tresoren der Bezirksleitung nach der Wende verschwunden war, sondern dass er, wenn er wollte, an dieses Geld auch herankam.
    Nur eine konnte den Ball stoppen.

Felix Ton
    der Mover und Shaker, schaute in die Spiegelung seiner selbst in der Nacht.
    Er saß in einem restaurierten Barockaltbau auf der Couch und schwenkte den Cognac im Glas. Sein Spiegelbild schwebte zwischen ihm und der Dunkelheit, die Slidetec-Schiebeläden hatten sich bei Sonnenuntergang geräuschlos geöffnet.
    Derselbe Geck aus der Inneneinrichtungsbranche hatte sie empfohlen, der ihm Dimmer in allen Deckenleuchten vorgeschlagen hatte. Felix Ton war nicht fürs Dimmen. An oder aus. Das war die Idee. Grauzonen gab es bei den wesentlichen Fragen nicht. Man war tot oder lebendig. Halbtot gehörte zu den umgangssprachlichen Witzen, mit denen man sich bloß um Tatsachen herummogelte. Das gehörte in den rhetorischen Bereich, in dem er sich tagsüber oft genug bewegte.
    Jetzt könnten die Schiebeläden vielleicht nützlich werden. Wenn der Rummel zunähme, wäre es gut, die Schotten dichtmachen zu können. Allerdings würde er dann in einem Büro in Berlin sein und käme nicht jeden Abend nach Potsdam rausgejockelt, und nur die wechselnden Mitarbeiter der Putzfirma würden die Wohnung beleben oder Maja, wenn sie ihre WG mal wieder satthatte. Die Schiebeläden ließen sich so programmieren, dass sie sich täglich zu anderen Tageszeiten öffneten und schlossen. Außerdem könnte man jemanden anheuern, der sich immer mal durch die Wohnung bewegte und lüftete, um Anwesenheit vorzutäuschen.
Billige Masche
, würde Feldberg sagen,
dafür hätte man uns damals auf die
Fi
nger geklopft.
Aber damals hätte Ton nicht im Traum daran gedacht, eines Tages in einer restaurierten Vierzimmerwohnung mit Stuckaturen und dem ganzen denkmalschutzverdächtigen Schnickschnack zu leben. Damals hätte er auch nicht gedacht, dass er es einmal sein würde, der Feldberg auf die Finger klopfte. Was ihn auf den Gedanken brachte, sein Handy zu checken. Aber Feldberg hatte keine neue Nachricht geschickt. Er hatte sich für zweiundzwanzig Uhr angekündigt, und dabei schien es zu bleiben.
    Was war

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